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Eine Schule nach Wunsch

In Thailand funktioniert Unterricht meistens so: Der Lehrer redet, egal ob es die Kinder interessiert oder nicht. In der Ban-Phatai-Schule ist das anders. Hier unterrichten sich die Kinder selbst! Mit Erfolg

Am Morgen steht Mathematik auf dem Stundenplan. Wilai hockt im Klassenzimmer auf dem Boden und notiert Aufgaben auf einem großen Bogen Papier. Sorgfältig schreibt sie Zahl an Zahl und schaut dann ihre Mitschüler um sie herum auffordernd an. Die schweigen, grübeln, gucken verlegen zur Seite. Auf die richtige Lösung aber kommen sie nicht. „Soll ich euch helfen?“, fragt die Zwölfjährige schließlich. Die anderen nicken. Geduldig erklärt Wilai jeden Rechenschritt noch einmal.

Immer mehr Mitschüler drängen sich um das Mädchen, bis alle den Lösungsweg verstanden haben. „Prima!“, ruft die Lehrerin. Nur zum Loben oder dann, wenn es gar nicht weitergeht, mischt sie sich ein. Ansonsten haben an der Ban-Phatai-Schule die Kinder das Sagen! Während in den meisten anderen thailändischen Schulen der Lehrer redet und redet und mit harten Strafen droht, falls jemand nicht zuhört, entscheiden hier die Kinder, wer ihnen etwas beibringt. Ist jemand wie Wilai in der Klasse, die gut erklären kann, hält die Lehrerin den Mund. „So lernen die Kinder zusammen-zuarbeiten und sind stolz, allein auf das Ergebnis gekommen zu sein“, erklärt sie. Nur ganz am Ende der Stunde hat die Lehrerin das Wort: „Pause!“ Das lassen sich Wilai und die anderen gern sagen. Die Zwölfjährige schlendert auf den Hof der Schule, die auf einer Anhöhe mitten im Urwald steht.

Bäume beschatten die Unterrichtsräume für die rund 180 Mädchen und Jungen. Gleich nebenan führen schmale Pfade in den Dschungel. Die Menschen hier im Norden Thailands leben vom Ertrag ihrer Reisfelder, von der Büffel- und Froschzucht. Wilais Mutter webt Stoffe und schneidert außerdem Kleider, die sie in Chiang Rai, zwei Stunden flussabwärts, verkauft. Wie sie haben die meisten Erwachsenen nie Rechnen oder Schreiben gelernt. Viele fragten sich daher, warum sie ihre Kinder zur Schule schicken sollten. Einige sagten sogar, Lernen sei überflüssig. Vor sieben Jahren überzeugten schließlich Mitarbeiter von UNIWasser CEF die Eltern vom Gegenteil. Und fragten dann die Kinder, was sie lernen wollen. „Alles“, sagten die meisten. Seither üben die Mädchen und Jungen der Ban-Phatai-Schule nicht nur Mathematik, sie lernen auch, Tiere zu halten oder Pflanzen richtig anzubauen.

Die Jungen zum Beispiel sind große Frosch-Experten: Nach der Pause rennen sie zu den Bassins hinter dem Schulgebäude. Darin drängen sich unzählige graugrüne Frösche, deren Becken regelmäßig sauber geschrubbt werden müssen. Denn nur gesunde Frösche kann man anschließend essen! Währenddessen steht Wilai zwischen Zitronenbäumchen und lässt sich von der Lehrerin erklären, wann die Früchte reif sind. „Wenn ich all das weiß, kann ich meiner Mutter besser im Haushalt helfen“, sagt sie. Trotzdem: Mathematik bleibt Wilais Lieblingsfach. Und später will sie einmal Krankenschwester werden, „um allen Menschen im Dorf zu helfen“.

GEOLINO Nr. 04/07 - Achtung, Wanzen!

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