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Mount Everest - Der Aufstieg auf den Berg der Berge

Vor 60 Jahren startete eine Expedition, um den höchsten Berg der Welt zu besteigen. Viele sind bisher schon an dem Versuch gescheitert. Hier lest ihr, wie es zwei Männer mit letzter Kraft schafften, den Riesen endlich zu bezwingen

Inhaltsverzeichnis

Schreck kurz vor dem Gipfel

Schreck kurz vor dem Gipfel

28. Mai 1953: Nun haben sie es bis auf 8500 Meter geschafft. Nur noch knapp 350 Höhenmeter trennen die beiden Männer vom Gipfel des Mount Everest, vom höchsten Punkt der Erde, vom letzten großen Ziel der Menschheit. Und jetzt das! Fassungslos durchwühlt Edmund Hillary seine Taschen, tastet den Zeltboden ab. Sein Begleiter, Tenzing Norgay, sucht mit. Wo ist das Verbindungsstück für die Sauerstoff-Flasche? Hier oben ist die Luft so dünn, dass man ohne zusätzlichen Sauerstoff kaum atmen, denken, laufen, schlafen kann.

Hühnersuppe gegen die Angst

Der Weg zum Gipfel ist lang und beschwerlich
Der Weg zum Gipfel ist lang und beschwerlich
© Royal Geographical Society

Um die Nacht zu überstehen, wollten Hillary und Tenzing ihre Atemmasken an eine Neun-Kilo-Flasche anschließen, die ihnen Helfer extra hier hoch geschleppt hatten. Die Träger waren gleich wieder umgekehrt - und Hillary dämmert es: Einer von ihnen hat den Anschluss versehentlich eingesteckt. Die Flasche bleibt zu. Und nun? Umkehren? Niemals! So hocken sie nun bibbernd in ihrem Zelt, das sie auf eine winzige, eisige Plattform gequetscht haben, die auf einer Seite steil abfällt. Tenzing wirft den Kocher an: Essen hilft nicht nur gegen den Hunger, sondern auch gegen die Angst. Bald löffeln sie heiße Hühnersuppe mit Nudeln.

Eisige Kälte

Hillary beschließt, den Sauerstoff aus den anderen Flaschen streng einzuteilen. Normalerweise braucht ein Bergsteiger in dieser Höhe vier Liter pro Minute - die beiden müssen mit drei auskommen. Hillary friert, obwohl er ein Unterhemd trägt, eine Wollweste, Wollunterhosen, Daunenjacke und -hose, zwei Paar Socken, drei Paar Handschuhe. Und dann auch noch dieser Sturm! Heulend stürzt sich eine Böe nach der anderen auf das Zelt. Jedesmal stemmen sich Hillary und Tenzing mit all ihrem Gewicht gegen den Wind, damit das Zelt nicht in den Abgrund fliegt. Als der Sturm nachlässt, dösen die Männer ein. Was wird der morgige Tag bringen?

Die große Expedition auf den Riesen

Drei Monate zuvor sind die beiden Abenteurer gestartet, um den Mount Everest zu erobern. Die Männer gehören zu einer britischen Expedition, die sich im März 1953 durch das Bergland Nepals wälzt, mit 350 einheimischen Trägern und 13 Tonnen Ausrüstung, dem Everest entgegen. Der Expeditionsleiter, Oberst John Hunt, ist wild entschlossen, den Riesen zu bezwingen - nachdem bereits ein Dutzend Expeditionen gescheitert sind. Einer von Hunts besten Bergsteigern ist der Neuseeländer Edmund Hillary, 33: ein 1,92-Meter-Hüne, von Beruf Bienenzüchter, der auf Berge steigt, "weil es Spaß macht".

Das Bergvolk der Sherpa

Als "Sirdar", als Chef der nepalesischen Träger, hat Hunt Tenzing Norgay, 39, angeworben. Tenzing gehört zum Bergvolk der Sherpa; er ist im Himalaya groß geworden, jenem Gebirge, zu dem auch der Mount Everest gehört. Schon als Junge hat er Viehherden auf Weiden in 5000 Meter Höhe getrieben. Für die Sherpa ist der Berg etwas besonderes: Dort oben, glauben sie, wohnt "Chomolungma", die Göttermutter. Und Tenzing brennt darauf, eines Tages als erster Sherpa auf Chomolungmas Rücken zu stehen.

In den nächsten Wochen ist eine der wichtigsten Aufgaben, Routen auszukundschaften und Zeltlager auf dem Weg zum Gipfel einzurichten, in denen Vorräte und Sauerstoff lagern. Die Bergsteiger, die dann später vom Gipfel zurückkommen, sollen sich hier bedienen können. Für Hillary, Tenzing, Hunt und die anderen bedeutet das: jeden Tag Stufen ins steinharte Eis hacken, über Felsbrocken klettern und Gletscherspalten überwinden. Die Sherpa leisten fast Übermenschliches: 20 bis 30 Kilogramm schleppen sie auf dem Rücken; die Briten tragen meist nur leichtes Gepäck.

Menschen vom Volk der Sherpa halfen den Bergsteigern beim Tragen der Lasten auf dem Weg zum Gipfel
Menschen vom Volk der Sherpa halfen den Bergsteigern beim Tragen der Lasten auf dem Weg zum Gipfel
© Royal Geographical Society

Die Todeszone

Die Sherpa

Bis Mitte Mai haben die Männer acht Lager eingerichtet; das höchste auf 7900 Metern. Eine Todeszone: Die trockene Luft dörrt Hals und Nase aus, fast alle leiden an Atemnot. Und Tenzing hört vom Gipfel ständig "das Gebrüll von tausend Tigern" - so nennt er den Sturm, der über die Südseite des Everest fegt. Genau über diese Seite müssen die Männer zum Gipfel. Hunt bestimmt, dass die Bergsteiger Evans und Bourdillon den ersten Vorstoß wagen sollen. Neidisch sehen Hillary und Tenzing zu, wie das "Team 1" am 26. Mai losstapft. Doch dessen Sauerstoffgeräte versagen; völlig erschöpft geben Evans und Bourdillon auf. Das ist die Chance für "Team 2": Tenzing und Hillary. Auf dem ersten Stück helfen ihnen vier Kameraden, Zelt, Schlafsäcke und Sauerstoffflaschen zu tragen. Auf 8500 Metern laden die Träger ab und stolpern halbtot zurück. Einer hat das Verbindungsstück zur größten Sauerstoffflasche in der Tasche.

Geschafft! - Auf dem Gipfel

Hillary und Tenzing überstehen die Nacht recht gut - obwohl sie sich nur wenig Sauerstoff gönnen. Am 29. Mai öffnet Hillary früh morgens das Zelt. Blauer Himmel, 27 Grad unter Null. Nur dumm, dass seine Schuhe über Nacht hart wie Eisen gefroren sind. Er muss sie über dem Kocher weichkneten; es stinkt nach verbranntem Leder. Dann: Steigeisen anlegen, Sauerstoffmasken aufsetzen. Und los. Schritt. Für Schritt. Für Schritt. Der Schnee ist tückisch - mal überfroren, mal pulverig. Einmal kracht unter Hillary eine zwei Meter große Eisscheibe ab; drei, vier Schritte rutscht er mit, bevor er sich halten kann. Die Eisstücke rasen über den Berghang ins Leere. Noch 100 Meter bis zum Gipfel. Und endlich: Der Schnee ist fest! Noch eine hohe Felskante, ein paar Schneekuppen - und dann stehen Edmund Hillary und Tenzing Norgay als erste Menschen auf dem höchsten Gipfel der Welt: 8848 Meter.

Nach dem gelungenen Aufstieg entspannen sich die Bergsteiger im Zelt
Nach dem gelungenen Aufstieg entspannen sich die Bergsteiger im Zelt
© Royal Geographical Society

Opfergaben für Chomolungma

Überglücklich schlingt der Sherpa seine Arme um den Neuseeländer. Geschafft, geschafft! Hillary macht ein paar Fotos. Und Tenzing legt Kekse und etwas Schokolade in ein Schneeloch. Opfergaben für Chomolungma. "Thuji chey, Chomolungma", sagt Tenzing. Ich bin dankbar, Göttin der Erde. Der Abstieg geht überraschend schnell, obwohl der Sauerstoff jetzt wirklich knapp wird. Einen Tag später sind sie schon bei den anderen Expeditionsteilnehmern. Und was ist das Erste, das Hillary seinen Kameraden zuruft? Ein erleichterter Fluch: "Wir haben's dem Mistkerl aber gegeben!"

Hillary und Tenzing sind berühmt

Hillary und Tenzing sind mit einem Schlag weltberühmt. Interviews, Partys, Vorträge - vor allem Hillary kann sich vor dem ganzen Rummel kaum retten. Königin Elisabeth II. von Großbritannien schlägt ihn mit einem juwelenbesetzten Schwert gar zum Ritter, zum Adligen - das ist eine der höchsten Ehren im Königreich. Der Bergsteiger darf sich jetzt "Sir Hillary" nennen.

Aber enttäuscht ist er trotzdem: Tenzing bekommt nämlich nur eine Tapferkeitsmedaille. Das kann Sir Hillary nicht verstehen - genau so wenig wie die nervige Frage, die ihm seit der Erstbesteigung immer wieder gestellt wird: wer denn nun wirklich der Aller-Allererste auf dem Gipfel war? Sie waren es beide. Edmund Hillary und Tenzing Norgay. Punkt.

Mount Everest - Der Aufstieg auf den Berg der Berge
© Gerstenberg

Mehr Informationen über die Berge im Himalaja, das Klettern im Eis und die ersten Bergsteiger auf dem Mount Everest findet ihr in diesem spannendem Sachbuch mit vielen Fotos und Illustrationen

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von Richard Platt Illustrationen von Russell Barnet und John James

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