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Schädelfund von Marokko Wie diese Ausgrabung die Geschichte der Menschheit veränderte

Jean-Jacques Hublin
Jean-Jaques Hublin und sein wertvoller Fund
© PATRICK KOVARIK/Getty Images
Anfang Juni berichteten Forscher über einen spektakulären Fossilienfund, der uns dazu zwingt, die Geschichte vom Ursprung des Menschen neu zu schreiben. GEO hatte die einzigartige Chance, die Ausgrabungen und die Aufarbeitung der knöchernen Relikte von Anfang an zu begleiten. Autor Martin Meister im Interview

Anfang Juni berichteten Forscher über einen spektakulären Fossilienfund, der uns dazu zwingt, die Geschichte vom Ursprung des Menschen neu zu schreiben. GEO hatte die einzigartige Chance, die Ausgrabungen und die Aufarbeitung der knöchernen Relikte von Anfang an zu begleiten. Die Geschichte der Bergung eines anthropologischen Schatzes erscheint in der aktuellen Ausgabe. Wir sprachen mit dem Autor Martin Meister über seine Recherchen.

Bereits 2007 entdeckte ein internationales Forscherteam um Jean-Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig in einem aufgelassenen Steinbruch in Marokko einen Schädel, einen Unterkiefer, Zähne und Langknochen. Bei der Untersuchung stellte sich heraus, dass es sich um die Überreste des frühen modernen Homo sapiens handelt – also von Menschen wie uns. Und die Datierung zeigte, dass diese Menschen vor rund 300 000 Jahren lebten. Bis dahin galt die Zeit vor 200 000 Jahren als Geburtsstunde des modernen Menschen.

Wir müssen daher unsere Vorstellung vom Ursprung unserer Art gründlich revidieren: Homo sapiens entstand bereits viel früher als gedacht. Und unsere Spezies ist nicht in einer eng umrissenen Region in Ost- oder Südafrika geboren worden, sondern sie ist über den gesamten Kontinent verteilt entstanden, sie hat sozusagen panafrikanische Wurzeln. Erkenntnisse, die weltweit mächtig Aufmerksamkeit erregten.

GEO hatte das Glück, bei den Ausgrabungen dabei zu sein. In einer ausführlichen Reportage im aktuellen Heft berichtet GEO-Autor Martin Meister über den Fund und den gigantischen Aufwand, mit dem die Forscher die wertvollen menschlichen Fossilien untersucht haben.

Martin Meister
Autor Martin Meister begleitete die Reise des in Marokko gefundenen Schädels von Anfang an
© Anke Meister

GEO: Herr Meister, der Schädel wurde bereits 2007 in einem aufgelassenen Steinbruch in Marokko entdeckt. Warum, um Himmels willen, hat es zehn Jahre gedauert, bis der spektakuläre Fund im Fachjournal Nature publiziert wurde?

Martin Meister: Der Schädel kam in Fragmenten zutage, die überdies zum Teil vom Gestein zerdrückt worden waren. Das musste alles präpariert, wieder zusammengefügt und virtuell ergänzt werden. Das so entstandene Schädelmodell hat Jean-Jacques Hublin dann mit vielen weiteren urzeitlichen Homo-sapiens- und Neandertal-Funden aus verschiedenen geografischen Regionen verglichen – Funde, die ganz andere Forscher-Teams über die Jahrzehnte gemacht haben. Alle Schädel mussten dafür nach der gleichen Methode digital bearbeitet werden. Dafür brauchte das Hublin-Team direkten Zugriff auf viele der Originale in den verschiedensten Ländern. Hierfür die Genehmigung zu bekommen, kann sehr lange dauern. Nicht zuletzt in Marokko mahlen die Mühlen manchmal langsam. Überdies waren vorab grundsätzliche Fragen zur Gesichtsanatomie des Homo sapiens zu klären. Methoden zur zur Alterbestimmung wurden extra für diesen Zweck verfeinert. Trotzdem haben sich die Gutachter von Nature lange mit den Datierungsfragen beschäftigt. Bis sie dann endlich gesagt haben: einverstanden, überzeugt!

War von Anfang an klar, dass die Schädelfragmente, die da im Gestein steckten, etwas Besonderes sind?

Schädelknochen vom frühen Homo sapiens sind ausgesprochen rar. Noch immer gilt der Satz, dass es davon weniger Exemplare gibt, als Forscher, die sich mit ihnen befassen. Insofern ist jeder solche Fund besonders. Im Steinbruch am Jebel Irhoud kam hinzu, dass die Fragmente in der untersten Grabungsschicht steckten. Das ist natürlich ein Hinweis auf hohes Alter. Da Jean-Jacques Hublin viele Sapiens- und Neandertaler-Fundplätze in Nordafrika im Vergleich kennt, war ihm das hohe Potenzial der Entdeckung im März 2007 bewusst. Ich glaube, er hat sehr früh den Plan gefasst, diesen Fund, wenn irgend möglich, zum größten seiner Karriere zu machen.

Wie kam es, dass GEO die Chance hatte, die Ausgrabung zu begleiten?

Das hat mit dem Vertrauen zu tun, das Jean-Jacques Hublin in GEO und wohl auch in mich persönlich gesetzt hat. Er wusste, dass es lange bis zu einer Veröffentlichung dauern könnte. Und weil das in der Paläoanthropologie öfter so ist, sind deren Vertreter Meister im Verschweigen und geheimen Forschen. Dennoch hat Hublin mich sofort nach der Entdeckung angerufen, als einzigen Journalisten, denn wir kannten uns durch das europäische Forschungsnetzwerk EVAN. Hier war GEO damals einer der Partner; unser Beitrag lag darin, Wissenschaftler im Feld der Humanevolution dafür zu gewinnen, ihre Arbeit und Ergebnisse einer interessierten Öffentlichkeit verständlich zu machen.

Schädel Homo Sapiens fossil
Ein einzigartiger Unterkiefer, der die Wissenschaft vor viele Fragen stellt. Der Mensch, dem er gehörte, hatte große Zähne wie ein früher Homo sapiens, aber ein gerades Kinn - wie wir. Er war einer von uns, lebte aber bereits vor 300.000 Jahren
© Jean-Jacques Hublin

Sie haben für GEO an paläontologischen Fundplätzen aller Kontinente recherchiert und in Reportagen über die Humanevolution berichtet. Welches war bei diesen Recherchen für Sie der bewegendste Moment?

Ein Nachmittag im Jahr 2001 in Südafrika, allein an einer Flussmündung am Indischen Ozean. Eine gewaltige Brandung rollte faustgroße Kieselsteine hin und her, ihr Klacken und ein salziger Nebel erfüllten die Luft. In der Nähe gab es eine Höhle mit Siedlungsspuren und Fossilien des frühen Homo sapiens: Daneben hatte eine archäologische Grabung Schichten über Schichten von Muschelschalen freigelegt. Generationlang hatten hier Urmenschen gehockt und Muscheln geknackt, die sie zuvor irgendwie aus dem tosenden Wasser geklaubt hatten. Dieser Platz galt zum Zeitpunkt meines Besuchs als der mit dem ältesten Skelettnachweis von Unseresgleichen, datiert auf 125000 Jahre. Vor dieser Zahl erschauerte ich damals. Aber nun gibt es einen neuen Altersrekord, 300000 Jahre, und die Szenerie hat in den Norden des Kontinents gewechselt: Da saßen Jäger und Sammler auf einer Anhöhe und brieten sich Gazellen, die sie in der Akaziensteppe zu ihren Füßen gefangen hatten. Wir Menschen sind doch höchst wandlungsfähige Wesen.

Warum hat GEO nicht gleich über den Fund berichtet, als dessen Bedeutung sich abzeichnete?

Wir haben uns an die Verabredung „erst das Fachjournal, dann GEO“ gehalten, weil die Chefredaktion und ich Jean-Jacques Hublin unser Wort darauf gegeben haben.

Schon in den 1960er Jahren war an gleicher Stelle ein sogar noch vollständigerer Schädel ausgegraben worden. Warum wurde erst jetzt klar, welchen Schatz die Anthropologen da längst in Händen hielten?

Dieser Schädel ist zwar wunderbar erhalten, es wurde aber damals nicht genau dokumentiert, in welcher Grabungsschicht er steckte. Über die Fundschicht lässt sich das Alter von Fossilien aber am besten bestimmen. Der heutige Jebel Irhoud ist im Lauf der Urgeschichte über Jahrzehntausende immer wieder von Menschen aufgesucht worden. Es ist aus einer Reihe von Gründen zwar unwahrscheinlich, aber immerhin möglich, dass der Schädel jünger ist als die Funde von Hublin.

Die ausführliche Reportage über die Entdeckung der Jebel Irhoud-Fossilien ist in der GEO-Ausgabe 07/2017 nachzulesen und ab sofort auch bei Blendle.

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