Die "Endurance" wäre wohl nie gefunden worden, hätte Captain Frank Worsley nicht penibel Tagebuch geführt. Im Oktober 1915, kurz bevor Eismassen den Rumpf des Dreimasters bersten ließen und in die Tiefe drückten, notierte Worsley die genauen Koordinaten des Unglücksorts: 68°39'30" Süd; 52°26'30" West. Mitten im eiskalten Weddellmeer, nahe dem antarktischen Kontinent.
Den wollten Worsley und die weiteren 27 Männer an Bord der "Endurance" durchqueren, als erstes Expeditionsteam überhaupt. Das gut 42 Meter lange und acht Meter breite Segelschiff mit Hilfsmaschine drang von Südamerika aus ins Weddellmeer vor, sollte die Crew in der Vahselbucht absetzen. Von dort, so der Plan des Expeditionsführers Ernest Shackleton, sollten sich die Männer zu Fuß und auf Hundeschlitten über das Eis kämpfen. So weit sind sie jedoch nie gekommen.
Am 19. Januar 1915, nur anderthalb Monate, nachdem die Crew den Hafen der Walfangstation Grytviken verlassen hatte, umklammerte Packeis den Rumpf ihres Schiffes: Die "Endurance" steckte fest.
Tauchroboter erkunden das Wrack: Es ist in erstaunlich gutem Zustand
Monatelang verharrten die Männer auf ihrem bewegungsunfähigen Schiff, trieben unaufhaltsam Richtung Norden. Als die "Endurance" dann im Oktober 1915 unter dem Druck der sich beständig bewegenden Eismassen zu bersten drohte, gab Shackleton den Befehl zur Evakuierung: 1800 Kilometer von Südgeorgien entfernt, fast 2000 von den Falklandinseln. Es war der Beginn einer irrwitzigen, 635 Tage andauernden Odyssee durch die lebensfeindliche Antarktis.
Während die Männer entgegen aller Wahrscheinlichkeit überlebten, sank die "Endurance" auf den Grund des Weddellmeers. Dort entdeckt sie ein Expeditionsteam der "Falklands Maritime Heritage Trust" im März 2022. Der hölzerne Rumpf liegt keine vier Meilen von jenen Koordinaten entfernt, die Captain Worsely in seinem Tagebuch notiert hatte: in 3008 Meter Tiefe.
Das Wrack, so belegten es bereits erste Fotografien eines Tauchroboters, ist in erstaunlich gutem Zustand. Sogar der Schriftzug am Heck unterhalb der Reling sind lesbar. "Wir sind überwältigt vor Glück", sagte Expeditionsdirektor Mensun Bound damals. "Dies ist bei Weitem das schönste hölzerne Schiffswrack, das ich je gesehen habe."
Mit halbautonomen Tauchrobotern erkundeten die Forschenden fortan das Wrack. Die etwa eineinhalb Meter langen Maschinen gelangen mühelos in die Tiefen des eiskalten Meers, fotografierten die "Endurance" aus allen Blickwinkeln und fertigten Laserscans: Dank ihnen werden auch jene Teile des Wracks sichtbar, die unter Sedimentschichten begraben liegen. Die Daten der Tauchroboter, so versprechen es die Forschenden, seien derart präzise, dass sie mit archäologischen Untersuchungen an Land vergleichbar seien.
Erste Ergebnisse, die die Forschenden nun veröffentlichten, belegen dies. Ein digitaler Scan, zusammengesetzt aus 25.000 hochauflösenden Einzelaufnahmen, zeigt das gesamte Schiffswrack aus allen Perspektiven. In seiner nächsten Umgebung liegen einzelne Trümmerteile, etwa eine Stufenleiter, die wohl einst im Rumpf des Schiffes verbaut war. An Deck lassen sich Teller – für sie hatte die Crew ihrer Reise durch das Eis keine Verwendung – und ein Stiefel, womöglich gehörte er Shackletons Erstem Offizier Frank Wild, erahnen.
Anhand des dreidimensionalen Modells der "Endurance" wollen die Forschenden rekonstruieren, wie genau das Schiff gesunken ist: Während die Masten gebrochen sind und Teile des Decks in Trümmern liegen, scheint der Rumpf weitestgehend intakt.
Die echte "Endurance" bleibt derweil im Weddellmeer. Laut Antarktisvertrag gilt das versunkene Expeditionsschiff als Kulturgut der Menschheit und steht unter Schutz.