Pflanzenzellen sind wahre Baumeister: Sie produzieren ständig Zellulose, den stabilisierenden Hauptbestandteil ihrer Zellwände. Doch wie genau entsteht dieses komplexe Netzwerk aus Zuckerfäden? Das war bislang noch weitgehend unklar.
Ein internationales Forschungsteam ist dieser Frage nachgegangen und hat nun einen Durchbruch erlangt: Mithilfe hochmoderner Mikroskopie konnten Forscherinnen und Forscher der Rutgers University in New Brunswick (New Jersey, USA) in Echtzeit beobachten, wie Pflanzenzellen ihre Zellulosegerüste regenerieren – ein Prozess, der bisher im Verborgenen stattfand.
Sie nahmen Bilder auf, die den mikroskopischen Prozess über 24 Stunden hinweg zeigen. "Wir konnten zum ersten Mal sehen, wie Pflanzenzellen Zellulose erzeugen und zu Zellwänden zusammensetzen," sagt Studienautor Sang-Hyuk Lee, außerordentlicher Professor am Fachbereich Physik und Astronomie, in einer Mitteilung der Universität. "Dies ist wie ein Blick auf die Blaupause der Pflanzenzellwandbildung."
Um dem Geheimnis der Zellwandbildung auf die Spur zu kommen und die Dynamik der Zellulosebildung zu visualisieren, nutzte das Team um Dr. Sang-Hyuk Lee ein cleveres Modellsystem: Protoplasten. Diese Zellen, deren Zellwände man zuvor entfernt hatte, regenerieren ihre Hülle unter kontrollierten Bedingungen neu. Der Clou: Ein maßgeschneiderter Fluoreszenzmarker (tdCBM3a), der sich spezifisch an Zellulose bindet und diese so unter dem Mikroskop sichtbar macht. So ließ sich der Wiederaufbau der Zellwände unter dem Mikroskop beobachten.
Zellulosebildung in vier Phasen
Bei der Durchsicht der mikroskopisch erzeugten Aufnahmen konnten die Forschenden feststellen, dass die Zellulosebildung zu Anfang außerordentlich chaotisch vonstatten geht und sich danach ordnend neu organisiert. "Ich war außerordentlich überrascht über die Entstehung geordneter Strukturen aus dem chaotischen Tanz der Moleküle, als ich diese Aufnahmen zum ersten Mal sah. Ich hatte angenommen, pflanzliche Zellulose würde deutlich geordneter entstehen – so, wie es in klassischen Lehrbüchern für Biologie dargestellt wird", so Studienautor Sang-Hyuk Lee.

Das Forschungsteam identifizierte vier Phasen der Zellulosebildung:
- Initialisierung: Kleine Zellulosefragmente erscheinen auf der Zellmembran.
- Organisation: Die Zellulosefragmente beginnen sich zu einem Netzwerk zu organisieren.
- Verlängerung: Das Zellulosenetzwerk verlängert und verdichtet sich.
- Reifung: Das Zellulosenetzwerk entwickelt sich zu einer stabilen Zellwand.
Damit ist das Bild des Prozesses, wie Zellwände entstehen, nun klarer als je zuvor. Die Untersuchungen, veröffentlicht in Science Advances, tragen jedoch nicht nur zum grundlegenden Wissen über die Zellwandbildung bei und liefern faszinierende Einblicke, sondern könnten auch weitreichende Auswirkungen auf verschiedene andere Bereiche haben, darunter Bioenergie, Materialwissenschaft und Landwirtschaft.
Durch das Verständnis des komplizierten Prozesses der Zellwandbildung können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler möglicherweise Pflanzen mit verbesserten Eigenschaften entwickeln, wie beispielsweise einer erhöhten Biomasseproduktion für Biokraftstoffe oder widerstandsfähigeren Zellwänden für eine verbesserte Krankheitsresistenz.
Auch die Entwicklung alltäglicher Produkte, darunter verbesserte Textilien oder biologisch abbaubare Kunststoffe, könnte die Forschung der amerikanischen Wissenschaftler beeinflussen.