Wer gesund sein will, müsse 10.000 Schritte am Tag schaffen – lange Zeit war die Aussage so populär wie wenig belegt. Dennoch orientieren sich viele an der griffigen Faustformel, die ursprünglich ein Verkaufsargument für Fitnesstracker war, denn wer weiß schon, wie viele Schritte er oder sie am Tag gegangen ist?
Doch während die klare Zielmarke einige Menschen motiviert, demotiviert sie andere, schließlich sind 10.000 Schritte für viele Menschen mit Bürojobs nicht so leicht zu erreichen, zudem ist es nicht möglich, das Ziel an jedem Tag gleichermaßen zu stemmen.
Gleich mehrere Studien haben zuletzt untersucht, was wirklich hinter der Zahl steckt. Aktuelle Forschungen, die in der vergangenen und in dieser Woche veröffentlicht wurden, liefern eine differenziertere und ermutigendere Botschaft.
Für Umdenken hat zuletzt eine Metastudie in der Fachzeitschrift "The Lancet Public Health" gesorgt. Ein Forschungsteam um Melody Ding von der Universität Sydney fasste darin die Erkenntnisse von 57 bestehenden Studien zusammen.
Demnach reichen 7000 Schritte, um den Großteil der gesundheitlichen Vorteile einzustreichen. Im Vergleich zu 2000 Schritten am Tag sinkt bei 7000 Schritten die Gesamtmortalität um 47 Prozent, die Gefahr einer Herz-Kreislauf-Erkrankung um 25 Prozent, das Risiko für Krebs um sechs Prozent, für Typ-2-Diabetes um 14 Prozent, für Demenz um 38 Prozent, für Depressionen um 22 Prozent und für Stürze um 28 Prozent. Noch mehr Schritte, bis hin zu den berühmtem 10.000, verbesserten zwar die Werte, aber nur noch moderat, vor allem Herzkrankheiten ließen sich dadurch weiter reduzieren.
Doch das Team will selbst die 7000 Schritte nicht als Schwellenwert verstanden wissen, der unbedingt erreicht werden muss. Substanzielle gesundheitliche Besserungen zeigten sich auch, wenn ein bewegungsarmer Mensch seine Schrittzahl überhaupt steigerte. Wer bislang wenig gegangen ist, sollte also nicht am 7000er-Ziel verzagen, sondern sich über jedes kleine bisschen "Mehr" freuen, das er oder sie schafft.
Das Team weist allerdings darauf hin, dass die Belege für gesundheitliche Vorteile bei den meisten Erkrankungen, wie Krebs und Demenz, nur durch eine geringe Anzahl von Studien gestützt werden. Mehr Forschung ist nötig, um die Ergebnisse zu validieren und andere Faktoren wie das Alter oder die Gebrechlichkeit der teilnehmenden Personen besser herauszurechnen.
Solche Forschung lieferte in der vergangenen Woche eine Studie im "The British Journal of Sports Medicine". Ein Team der Mass General Brigham in Boston untersuchte Frauen, die im Schnitt 72 Jahre alt waren. Bei ihnen senkten 4000 Schritte am Tag das Sterberisiko und das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen im Alter. Besonders prägnant: Laut der Studie ist vor allem die Gesamtzahl an Schritten pro Woche entscheidend, nicht, dass sie über alle Tage gleichmäßig verteilt sind. Wer also an wenigen Tage viele Kilometer zurücklegte, konnte dadurch ausgleichen, was er oder sie an anderen Tagen nicht schaffte.
Das ist durchaus nicht selbstverständlich, denn beispielsweise bei der Einnahme von Medikamenten kann tägliche Regelmäßigkeit von Bedeutung sein. Bei der körperlichen Ertüchtigung könnte dies weniger ins Gewicht fallen. Erhärtet sich diese Erkenntnis, würde sie all jene entlasten, deren Lebensumstände nicht jeden Tag das gleiche Pensum ermöglichen und die es als Scheitern wahrnehmen, wenn der Fitnesstracker abends attestiert, das Ziel nicht erreicht zu haben. Der früher populäre Sonntagsspaziergang könnte eine Renaissance erleben.
Gerade erschien allerdings eine Studie in den "Annals of Internal Medicine", die dem auf den ersten Blick zu widersprechen scheint. Forschende des American College of Physicians untersuchte Menschen, die vergleichsweise wenig gehen. Bei ihnen zeigte sich, dass nicht die Gesamtzahl der Schritte allein über den gesundheitlichen Effekt entscheidet. Einen Einfluss hatte auch, ob die Menschen eher viele kleine Strecken (weniger als fünf Minuten) oder wenige lange (mehr als 15 Minuten) gingen. Besser für die Gesundheit war Letzteres.
Statt also die vielen kleinen Gänge zwischen Küche und Arbeitszimmer zusammenzuzählen, lohne sich ein längerer Spaziergang am Tag. Vor allem bei Personen, die sehr viel sitzen, beobachteten die Forschenden einen deutlicheren Zusammenhang zwischen längeren Gehphasen und einem geringeren Risiko für Tod und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Wann und wie viel man am Tag geht, lässt sich im heutigen hochverdichteten Arbeitsalltag nicht immer beliebig bestimmen. Die Studien können aber gerade denen Mut machen, die am weitesten vom 7000-Schritte-Ziel entfernt sind.