São Tomé und Príncipe: Ein Paradies im Atlantik
Eine einzige Fußspur verliert sich im Sand – die eigene. Orangerote Krebse trippeln über Vulkangestein, Palmenblätter winken telegen ins Blaue, und hinterm Wellenschaum glitzert der Atlantik: eine Szene aus dem Alltag im Paradies. Und doch beschleicht einen hier auf der Insel das unbestimmte Gefühl, dass mit diesem Alltag etwas nicht stimmt. Wie ausgestorben auch die Hotelanlage, mitten in der Hochsaison, bei Sonnenschein. Leere Liegestühle, leere Tische, leere Zimmer, kein Gast, nirgends. Nicht im Garten, nicht am Pool, nicht im Restaurant auf einem Felsen über dem Meer.
Ein Gärtner trimmt mit gleichgültiger Routine die Büsche, ein anderer schiebt den Rasenmäher übers Gras. Kellner glätten glatte Tischdecken, und Zimmermädchen fegen die Bungalows aus, als fielen gleich Massen von Gästen ein, im Hotel "Pestana Equador" auf dem Eiland Rolas. Aber es kommt niemand. Nicht hierher. Und ebenso wenig zu den anderen spärlich über die Insel gestreuten Resorts.
Und damit sind wir schon mitten in der Geschichte von São Tomé und Príncipe, kurz "STP", zwei Pünktchen im Golf von Guinea, wo man auf Touristen wartet. Und wartet. Und wartet. Warten, das begreift der einsame Reisende schnell, gehört hier zum Alltag wie Feuchtigkeit zur Tropenhitze. Darauf, dass endlich etwas passiert.
Im Palmenschatten verdösen Jugendliche den Tag. Am Straßenrand sitzen wie angewachsen Männer mit Motorsägen. In der Hauptstadt São Tomé langweilen sich Kette rauchende Taxifahrer und bewegen ihre Wagen manchmal den ganzen Tag nicht einen Meter. Als seien sie alle Statisten auf einer prachtvollen Bühne, die seit zehn Jahren nicht bespielt wird.
Öl statt Tourismus
So lange liegt der Grund für all das Warten schon zurück. Damals wurde vor der Küste der tropischen Inselrepublik Öl entdeckt. So viel, dass seither ausländische Investoren auf fette Profite spekulieren - und die São Toméer auf eine sorglose Zukunft. Schulden? Kein Problem, bald sind wir ja reich. Armut? Für uns werden 200 Jahre Öl und Honig fließen. Tourismus? Zu banal für das als "schwarzes Brunei" und "zweites Kuwait" gelobte Land.
Denn jetzt dreht sich alles nur noch ums Öl - wie viel davon unter dem Meeresgrund liegt und wie es aus der Tiefe geholt werden kann. Es geht um einen Teil vom großen Kuchen, um Geld und um Macht. Im Jahr 2003 kam es gar zu einem Sieben-Tage-Putsch. Der verschreckte zwar keine Energiestrategen, dafür aber die Tourismusbranche. Nun wartet man auf das Öl und auf Gäste - und hat weder das eine noch das andere.
São Tomé und Príncipe ist ein Winzling; in Afrika sind nur die Seychellen kleiner, auf der anderen Seite des Kontinents. Tausendundeinen Quadratkilometer messen die beiden Inseln plus eine Handvoll Inselchen - in etwa die Fläche Berlins bei der Einwohnerzahl Ludwigshafens: rund 160.000. Der Archipel besteht aus einer Gruppe erloschener Vulkane, die direkt am Äquator aus dem Ozean ragen, rund 200 Kilometer von Nigeria im Norden und Gabun im Osten entfernt.
Der Pico de São Tomé reckt sich bis auf 2024 Meter empor und hat auf der südlichen Hälfte der Insel ein stattliches Gebirge um sich geschart, überwuchert von fast unberührtem Regenwald, der als Nationalpark "Obô" in großen Teilen gut geschützt wird.
Der Nationalpark "Obô": grüner, wilder, wuchernder Überfluss
Für den "Obô" ist Luis-Mairo Almeda zuständig, den alle nur Luma nennen. Ein kleiner Mann mit einem kantigen, gutmütigen Gesicht, entschlossenen und zugleich traurigen Augen. Seine Hautfarbe ist zu hell für Afrika und zu dunkel für Europa. Luma arbeitet nicht nur als Parkverwalter, er ist auch Trainer der Fußballnationalmannschaft. Sportlehrer, Musiker und Touristenführer nicht zu vergessen. Eine erstaunliche Mischung und doch typisch für das oft improvisierte Leben auf São Tomé. Denn mit keiner seiner vielen Rollen verdient Luma genug zum Leben.
Doch wenn er durch "seinen" Nationalpark streift, treten die Alltagssorgen für einen Moment in den Hintergrund, und er lässt sich von der großen Naturoper überwältigen. "400 Pflanzenarten wachsen hier", sagt Luma, und ein Ausrufezeichen steht in der warmen Luft. Dabei ist die Landschaft auch außerhalb des "Obô" nicht weniger üppig als darin. Wohin man blickt, winden sich Hibiskusblüten unter Bananenblättern, schießen Palmensprösslinge neben Papayapflanzen empor, verschlingen Kakao- und Affenbrotbäume sich ineinander, schmiegen sich Bromelien an Königsfarne – grüner, wilder, wuchernder Überfluss.
São Tomé: Goldene Zukunft - Triste Gegenwart
Wir wandern weiter nach Westen, waten durch den Rio Abade, folgen einem Pfad durch große, graue Felsen: die Sturzgüsse des Monsuns haben sie wie Murmeln hierhergespült. Durch dichtes Blattwerk bahnen wir uns einen Weg zu namenlosen Wasserfällen, die aussehen wie aus dem Skizzenbuch der Schöpfung. In die Gischt malt die Sonne auch noch einen Regenbogen – und Luma könnte nicht stolzer sein. Dies ist der Reichtum, der ihm am Herzen liegt.
Ein Gespräch über das Öl, das Geld und die große Politik hingegen interessiert ihn nicht, während wir im Geländewagen über ausgezehrte Wege zurück zur Hauptstadt schleichen. Zeit wäre genug. Die Entfernungen auf den Inseln sind zwar kaum der Rede wert, doch jede Fahrt ist wegen der Holperpisten ein mühsames Manöver. Der Ölrausch gebiert zwar Pläne für einen gigantischen Tiefseehafen, um die Instandhaltung der Straßen aber kümmert sich niemand. Und noch immer fällt täglich der Strom aus. Die Zukunft mag vielleicht golden sein, die Gegenwart ist trist. Im "Hotel Miramar", dem besten Haus am Platz, wo seit den Ölfunden Rohstoffhändler aus Nigeria, Diplomaten aus Angola und Geschäftemacher aus den Vereinigten Staaten an der Hotelbar um Ölmillionen feilschen, bekommt man davon nicht viel mit.

Doch auch die Hauptstadt São Tomé wartet, dass die Zukunft beginnt - denn im Hier und Jetzt stemmt sich niemand dem Verfall entgegen. Die Löcher in der Strandpromenade könnten komplette Kleinwagen verschlingen. Auf den Fassaden der Kolonialhäuser blüht der Schimmel, aus dem Bürgersteig wächst das Gras, der Wind treibt schwarze Plastiktüten über den in der Nachmittagshitze flimmernden Asphalt. Die Straßen sind unwirklich still. Nur auf dem kolonialen Hauptmarkt verfallen die Insulaner plötzlich in eine erstaunliche Geschäftigkeit. Unter dem von gelben Säulen getragenen Holzdach werben Frauen für Obst, Gemüse und Fisch. Männer bieten CDs und Kassetten feil, die sie krachend laut abspielen. In der stickigen Luft liegt der Geruch von überreifen Bananen und blutigem Rindfleisch.
Auf der Steintreppe neben der Markthalle spielen Kinder mit einem Sprungseil. Sie lachen, krakeelen auf Kreolisch und springen weiter. In der Ferne schieben sich einige Wolkenfetzen über die Berge, und gerade als die Sonne untergeht, klart der Himmel endgültig auf. Ein intensives Leuchten, dann knipst die tropische Nacht der Insel um kurz nach sechs binnen Minuten das Licht aus – die Sonne erlischt wie das Display eines Handys. Straßenlaternen schaukeln im Wind, und die Kathedrale Da Sé leuchtet im Flutlicht. Streunende Hunde tapsen durch den Lichtkegel, werfen überdimensionale Schatten auf die Fassade. Auf São Tomé wirkt vieles wie eine Illusion.
Die Zukunft spielt einmal keine Rolle, nur das Heute
Abends sitzt Luma mit seinen Freunden Osvaldo und Guilherme in einem Holzhaus oberhalb der Ana-Chaves-Bucht. Sie singen kreolische Lieder und zupfen, klopfen, trommeln auf ihren Gitarren. Luma gibt mit einer Rassel den Takt vor. Wir prosten uns mit Rosema-Bier zu, einem lokalen Gebräu in etikettlosen Flaschen. "Weißt du, es reicht hier nicht, nur Touristenführer zu sein", sagt Luma.
Jährlich kommen nur etwa 6000 Urlauber auf die Insel. Deswegen hat er all die anderen Jobs. Sein Traum ist eine eigene Öko-Tourismus-Agentur. Und natürlich mehr Erfolg für die Fußball-Nationalmannschaft. Er nimmt seine Kappe ab und streicht sich verlegen über die Glatze. "Ein 2:1 über Sierra Leone war bislang der einzige internationale Sieg meiner Mannschaft." Der Nationaltrainer persönlich macht hier Musik mit seinen Freunden, bei einem kalten Bier und bester Stimmung. Das erlebt man ja auch nicht alle Tage. Und in diesem Moment, in dem das Öl und das Geld so weit weg sind, da spielt die Zukunft einfach einmal keine Rolle, nur das Heute. Und das ist schön.
Monopoly im Ministaat
Am Morgen, als wir im Geländewagen schon früh durch das Gewirr und die Hitze der Hauptstadt navigieren, hat Luma der Alltag wieder eingeholt. Sorgenvoll starrt er aus dem Fenster. Munter wird er erst wieder, als wir Monte Café erreichen, eine jener roças, wie man die ehemaligen Plantagenanlagen und Herrenhäuser der portugiesischen Kolonialisten nennt, die seit der Unabhängigkeit von den Nachfahren der Sklaven bewohnt werden. Hier ist er aufgewachsen.
Das Anwesen liegt 800 Meter hoch auf einem Hügel, nur wenige Kilometer westlich der Stadt. Hier ist es ein paar Grad kühler als im feuchtheißen São Tomé. Schweine und Hühner suchen sich ihr Futter, Hunde und Katzen streifen durch die verfallenden Gebäude. Der Dschungel greift nach den Bauwerken, die Zapfsäulen der Tankstelle sind zerborsten, die Stufen zum Hauptgebäude bröckeln, und der Putz ist längst von den Wänden geplatzt. Aus einer Wellblechhütte plärrt Céline Dions "My heart will go on", ein Handtuch weht davor im Wind, auf dem der amtierende Präsident Fradique de Menezes prangt. Zwei junge Frauen sitzen mit ihren Kindern auf einem rostigen russischen Panzer, lächeln freundlich und plaudern mit Luma: Nein, wo der Panzer herkommt, wüssten sie nicht.
Und was bringt die Zukunft?
Solche Relikte stammen aus einer anderen Vergangenheit São Tomés. Nachdem die Portugiesen die Kolonie 1974 aufgegeben hatten, wollte sich das Land mithilfe der Sowjetunion, Kubas und der DDR als sozialistisches System etablieren. Davon zeugen bis heute Leninbüsten, Hammer-und-Sichel-Plaketten und eben russische Panzer. Am Hauptgebäude der roça bleibt Luma stehen und erzählt, wie hier einst Kaffee und Kakao geerntet wurden. Heute liegt vieles brach. "Die Stufen hier durften wir nicht betreten, weil sie zum Haus des Gutsherrn führten", sagt der 47-Jährige, und es ist klar, dass die Vergangenheit so wenig rosig war, wie es die Gegenwart ist. "Und was die Zukunft bringt?", sagt er und hebt fragend die Schultern, "wer weiß das schon."
Das ist auch für Zeferino dos Prazeres die große Frage. Die Zukunft. Er weiß, dass sie Wohlstand nach Príncipe bringen soll, dem kleineren Teil des Zwei-Insel-Staats. Er weiß nur nicht, wie. Die Antwort zu finden ist sein Job. Direkt vor der Küste der Insel beginnt die "Joint Developement Zone" (JDZ), die große Ölfeld-Verheißung São Tomés und Príncipes, die schon so viele Hoffnungen weckte - und enttäuschte. Seismische Studien ergaben in den neunziger Jahren, dass bis zu elf Milliarden Barrel Erdöl im Meeresgrund lagern sollen. Doch noch immer weiß man nicht genau, wann wie viel Öl aus der Tiefe gefördert werden kann und wie rentabel dies ist. Und selbst wenn alles funktionierte, bekäme STP nur 40 Prozent der Einnahmen, weil sich der nahe Ölriese Nigeria längst 60 Prozent gesichert hat.
Ein Paradies im Wartestand
Der kleine, hagere, unscheinbare Mann war vier Jahre lang Príncipes Regierungschef, und nun soll er auf der 50 Flugminuten von São Tomé entfernten Insel eine Freihandelszone etablieren. Sein Büro in Santo António ist ein kleiner Raum mit zwei Fenstern, drei Stühlen und einem Schreibtisch, auf dem neben einem alten Computer und einem noch älteren Nadeldrucker ein Ventilator rotiert. "Für die Förderung ist Príncipe zu klein, das wird alles über São Tomé laufen. Aber in irgendeiner Form wollen wir auf jeden Fall profitieren." Er führe gerade Gespräche mit ausländischen Unternehmen, die bereits Geld investiert haben. Wie viel Geld?
Zeferino Prazeres sitzt lässig auf der Tischplatte und blickt betont teilnahmslos aus dem Fenster seines Büros. Draußen schiebt ein alter Mann einen Schubkarren voller Bierkästen vorbei. Dann sagt er: "160 Millionen Dollar."
Für was, will er nicht verraten. Nebulös erzählt er, dass er die Infrastruktur der Insel prüfe, um sie "für den Tourismus, die Gesellschaft und die Landwirtschaft" auszubauen. Dabei wabert längst das Gerücht durch Príncipe, es seien teure Luxusresorts geplant. Unwillkürlich fragt man sich, für wen. Und wünschte sich, man würde endlich erkennen, was das größte Kapital der Insel ist – die Landschaft, mindestens ebenso spektakulär wie die der großen Schwester: Bewaldete Vulkane gipfeln in kantigen Graten, die scharf bis ans Meer ragen. Nebelfetzen ziehen entlang ihrer Flanken und verfangen sich im Grün.
In den zahllosen Buchten hätte man ebenso gut den Hollywoodfilm "The Beach" drehen können wie auf Ko Phi Phi in Thailand. Doch noch ist Príncipe ein Paradies im Wartestand und schlummert weiter ungeküsst im Dornröschenschlaf.
Gegen Santo António wirkt sogar São Tomé wie eine hektische Metropole. So ruhig ist hier der Rhythmus, dass sich tropische Pflanzen nach und nach einen Teil der Stadt zurückerobert haben: Wurzeln überziehen das Bankhaus, die wie die Arme eines Riesenkraken aus dem Fundament des Gebäudes durch die Fenster in den ersten Stock dringen und durchs Dach wieder ins Freie stoßen. Natur und Architektur sind zu einem Märchenschloss verschmolzen.
Unwirklich schön in seiner Mischung aus Meer und Fels, Palmen und Sand wirkt auch das "Bom Bom Island Resort" an der Nordspitze der Insel. Und ebenso verlassen wie das "Pestana Equador" auf dem Eiland Rolas, am entgegengesetzten Ende des Landes. Hübsche Bungalows gruppieren sich um einen Pool, ein Steg quert das Riff zum Restaurant auf einem pittoresken Inselchen. Kellner rücken Tische und Stühle zurecht. Kein Gast, den sie bedienen könnten. "Erst gestern ist eine große Gruppe abgereist", sagt Hotelchef Dudas Duarte entschuldigend. Ein guter Schauspieler ist er nicht. Nun ja, nein, gerade sei niemand hier. Er sagt: "Bald wird sich vieles ändern." Mit dem neuen holländischen Eigner werde alles besser und überhaupt viel schöner. Dudas Duarte schaut aufs Meer. Eine Brise lässt die Palmblätter rascheln. Dann schüttelt er plötzlich den Kopf und geht, über den Steg, durch den menschenleeren Garten, vorbei am leeren Pool, durch die leere Lobby in sein Büro. Und wartet.
Info:
- Telefon: Internationale Vorwahl: 00239. Handys funktionieren nur mit Telefonkarten, die man ab 10 Euro kaufen kann.
- Zeitdifferenz: Berlin 12 Uhr = São Tomé 10 Uhr (im Winter nur minus 1 Stunde Differenz).
- Geld: 1 Euro = ca. 23.200 Dobra; 10.000 Dobra = ca. 0,45 Euro. Bargeld mitnehmen (sonst nur bei Banken per Kreditkarte erhältlich), da es keine Geldautomaten gibt.
- Hotels akzeptieren Euro, Dollar und Kreditkarten.
- Beste Reisezeit: von Mai bis September und Dezember bis Februar. Jahresdurchschnittstemperatur: 26 Grad, hohe Luftfeuchtigkeit.
- Einreise: Visa (30 Tage, 60 Euro) gibt es nur bei der EU-Botschaft (Pass einschicken): Embaixada de São Tomé e Príncipe, Av. de Tervuren 175, B-1150 Brüssel, Tel. 0032-2-734 89 66, ambassade@saotomeeprincipe.be. Vorgeschrieben ist eine Gelbfieberimpfung
- (nicht älter als 10 Jahre). U. a. wegen Malaria ist vorab ein Besuch beim Tropenarzt ratsam.
- Infos: www.tropeninstitut.de
- Anreise: Star Alliance Partner Air Portugal (TAP) fliegt wöchentlich von Lissabon. Preise ab 870 Euro hin und zurück (www.tap.com). Portugals Hauptstadt wird von vielen deutschen Flughäfen aus angeflogen (z. B. von der Lufthansa). Zwischen den Hauptinseln fliegt Air São Tomé e Príncipe dreimal pro Woche. Preis hin und zurück ca. 90 Euro.
- Landessprache: Portugiesisch; als Zweitsprache ist Französisch stärker verbreitet als Englisch.
- Unterwegs: Beste Fortbewegungsmittel auf São Tomé sind die gelben Sammeltaxis
- oder Mietwagen.