Die Victoriafälle sind ein philosophischer Ort. Hier lässt sich das Wesen unterschiedlicher Betrachtungsweisen begreifen. Denn sei es von oben herab oder von ganz unten, sei es aus der Nähe oder aus der Ferne: An den Victoriafällen scheinen unsere Blicke niemals ein und dieselbe Realität zu erfassen.
"Eine Szenerie so schön, dass selbst Engel im Flug verharren", schrieb David Livingstone, der Afrika-Entdecker und Sambesi-Reisende, in seinen Reiseberichten über die Victoriafälle. Sie seien das Schönste, das er in Afrika je zu Gesicht bekommen habe.
Ob es in Livingstones Heimat auch so etwas gebe, soll hingegen eher nüchtern König Sekeletu gefragt haben. Der Herrscher des ortsansässigen Kololo-Volkes begleitete den Schotten damals zum Naturwunder. Ihm war es zu verdanken, dass Livingstone diesen unvergleichlichen Höhepunkt des Sambesi an jenem 16. November 1855 "entdecken" konnte.
 
    Um ihn dann "Victoria Falls" zu taufen, als Hommage an seine 8000 Kilometer entfernt regierende Königin. Die Bewohner Sambias und Simbabwes nennen das mythische Naturschauspiel entlang ihrer gemeinsamen Grenze Mosi oa Tunya – "donnernder Rauch". Bis auf den heutigen Tag, 164 Jahre nach dem Livingstone-Besuch, existieren hier die typisch lokalen und die typisch fremden Perspektiven.
"Traumhaft" und "majestätisch" findet der französische Fotograf Franck Vogel den Anblick. Am frühen Morgen dieses Tages hat er die Fälle im Ultraleichtflugzeug überquert. Nur mit Blick von oben ließen sich die tatsächlichen Dimensionen dieses riesigen Wasservorhangs ermessen.
 
    Die Fluten des Sambesi stürzen auf einer Breite von rund 1700 Metern in eine quer zum Flusslauf liegende, gut 100 Meter tiefe und kaum 50 Meter enge Schlucht. Mehr als 300 Meter wird der Sprühnebel von der Gewalt des Wasseraufpralls in der Schlucht in die Höhe gewirbelt. Zu sehen ist der "donnernde Rauch" an manchen Tagen noch in 30 Kilometer Entfernung. Und fast immer spannt sich über ihm ein wahrlich märchenhafter Regenbogen. Ein Regenbogen, wie von Kinderhand gemalt. Nicht verblasst oder angedeutet, stattdessen: in voller Pracht auf ganzer Linie!
Am Oberlauf des Sambesi leben "Wassermenschen" in einsamen Hütten
Seit Wochen begleiten Fotograf Franck Vogel und ich den Fluss auf seinem Weg von der Quelle in einem sumpfigen Regenwald im Nordwesten Sambias in Richtung des Indischen Ozeans. Mehr als 2500 Kilometer lang ist dieser Strom. Europäer haben sich zunächst, als sie sich Mitte des 19. Jahrhunderts nach Afrika aufmachten, nicht sehr für ihn interessiert. Weil der Sambesi nicht schiffbar ist und daher für die koloniale Erschließung keinen praktischen Nutzen aufwies. Genau dies macht den Sambesi so interessant für uns. Vieles hat sich am Sambesi langsamer verändert als anderswo. Am Oberlauf trafen wir "Wassermenschen", die während der Regenzeit, wenn sich der Sambesi ganz breit macht in seinem Bett, in einsamen Hütten auf Inseln leben.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
