Am Fluss entlang Quer durch Afrikas Wildnis: Unterwegs im Herzland des Sambesi

Text: Michael Stührenberg, Fotos: Franck Vogel
1855 taufte der Entdecker David Livingstone den Wasserfall des Sambesi zu Ehren seiner Königin "Victoria Falls". Die Ein­hei­mischen nennen ihn Mosi oa Tunya, "donnern­der Rauch", wegen der mitunter mehr als 300 Meter hohen Gischtwolke
1855 taufte der Entdecker David Livingstone den Wasserfall des Sambesi zu Ehren seiner Königin "Victoria Falls". Die Ein­hei­mischen nennen ihn Mosi oa Tunya, "donnern­der Rauch", wegen der mitunter mehr als 300 Meter hohen Gischtwolke
© Franck Vogel
An den Victoriafällen mag sich koloniales Erbe inszenieren lassen, doch stromabwärts liegt die eigentliche Schatzkammer des Kontinents. Zwei GEO-Reporter haben den ungestümen Fluss wochenlang bereist. Jenseits der Wasserfälle fanden sie weite Natur und nahezu unberührte Wildnis

Die Victoriafälle sind ein philosophischer Ort. Hier lässt sich das Wesen unterschiedlicher Betrachtungsweisen begreifen. Denn sei es von oben her­­ab oder von ganz unten, sei es aus der Nähe oder aus der Ferne: An den Victoriafällen scheinen unsere Blicke niemals ein und dieselbe Realität zu erfassen.

"Eine Szenerie so schön, dass selbst Engel im Flug verharren", schrieb David Livingstone, der Afrika-Entdecker und Sambesi-Reisende, in seinen Reiseberichten über die Victoriafälle. Sie seien das Schönste, das er in Afrika je zu Gesicht bekommen habe.

Ob es in Livingstones Heimat auch so etwas gebe, soll hingegen eher nüchtern König Sekeletu gefragt haben. Der Herrscher des ortsansässigen Ko­lolo-Volkes begleitete den Schotten damals zum Naturwunder. Ihm war es zu verdanken, dass Livingstone diesen unvergleichlichen Höhepunkt des Sambesi an jenem 16. November 1855 "entdecken" konnte.

Sianwonga, Kariba dam, Zambia - Most fishermen at lake Kariba are Tonga. They moved from farming and breeding cattle to fishing after all their land has been flooded because of the dam. They are not catching so many fish because there was a lot of overf...
© Franck Vogel

Um ihn dann "Victoria Falls" zu taufen, als Hommage an seine 8000 Kilometer entfernt regierende Königin. Die Bewohner Sambias und Simbabwes nennen das mythische Naturschauspiel entlang ihrer gemeinsamen Grenze Mo­si ­oa Tunya – "donnernder Rauch". Bis auf den heutigen Tag, 164 Jahre nach dem Livingstone-Besuch, existieren hier die typisch lokalen und die typisch frem­den Perspektiven.

"Traumhaft" und "majestätisch" findet der französische Fotograf Franck Vogel den Anblick. Am frühen Morgen dieses Tages hat er die Fälle im Ultra­leichtflugzeug überquert. Nur mit Blick von oben ließen sich die tatsächlichen Dimensionen dieses riesigen Wasservorhangs ermessen.

Unter der Victoria Falls Bridge führt Pervious Katyamba Buch: Jeden Morgen bezieht er seinen Posten am Fluss und bittet die wenigen Besucher, die hier ans Ufer treten, sich in eine Kladde einzutragen, "damit niemand verloren geht". Ein eher einsamer Job
Unter der Victoria Falls Bridge führt Pervious Katyamba Buch: Jeden Morgen bezieht er seinen Posten am Fluss und bittet die wenigen Besucher, die hier ans Ufer treten, sich in eine Kladde einzutragen, "damit niemand verloren geht". Ein eher einsamer Job
© Franck Vogel

Die Fluten des Sambesi stürzen auf einer Breite von rund 1700 Metern in eine quer zum Flusslauf liegende, gut 100 Meter tiefe und kaum 50 Meter enge Schlucht. Mehr als 300 Meter wird der Sprühnebel von der Gewalt des Wasser­aufpralls in der Schlucht in die Höhe gewirbelt. Zu sehen ist der "donnernde Rauch" an manchen Tagen noch in 30 Kilometer Entfernung. Und fast immer spannt sich über ihm ein wahrlich märchenhafter Regenbogen. Ein Regenbogen, wie von Kinderhand gemalt. Nicht verblasst oder angedeutet, stattdessen: in voller Pracht auf ganzer Linie!

Am Oberlauf des Sambesi  leben "Wassermenschen" in einsamen Hütten

Seit Wochen begleiten Fotograf Franck Vogel und ich den Fluss auf seinem Weg von der Quelle in einem sumpfigen Regenwald im Nordwesten Sambias in Richtung des Indischen Ozeans. Mehr als 2500 Kilometer lang ist dieser Strom. Europäer haben sich zunächst, als sie sich Mitte des 19. Jahrhunderts nach Afrika aufmachten, nicht sehr für ihn interessiert. Weil der Sambesi nicht schiffbar ist und daher für die koloniale Erschließung keinen praktischen Nutzen aufwies. Genau dies macht den Sambesi so interessant für uns. Vieles hat sich am Sambesi langsamer verändert als an­ders­wo. Am Oberlauf trafen wir "Wassermenschen", die während der Regenzeit, wenn sich der Sambesi ganz breit macht in seinem Bett, in einsamen Hütten auf Inseln leben.

Erschienen in GEO 01/2019