Ein zwei Tonnen schweres Breitmaulnashorn von Südafrika nach Ruanda zu transportieren ist keine leichte Aufgabe. Zunächst gilt es, dem Koloss einen Betäubungspfeil in die Dickhaut zu schießen und ihm zur Beruhigung eine Augenbinde anzulegen. Dann zieht und schiebt ein ganzer Trupp von Pflegerinnen und Helfern das benommene Tier in eine Stahlbox. Schließlich geht die Reise los: erst mit dem Lastwagen, dann im Bauch einer Boeing 747. 3400 Kilometer weit, unter den wachsamen Blicken von Naturschützern und Tierärztinnen, vom einem Schutzgebiet an der Südspitze Afrikas aus bis in den Akagera-Nationalpark im Herzen des Kontinents.
70 Nashörner verschifften die Naturschutzorganisation African Parks und ihre Partner im Juni auf diese Weise. Eine beachtliche Leistung. Und doch nur ein kleiner Schritt in einem gewaltigen Plan, der insgesamt zehn Jahre umfasst.
Der Startschuss fiel im September 2023, als African Parks die Nashornfarm des Südafrikaners John Hume erwarb. Mehr als 2000 Südliche Breitmaulnashörner lebten auf dem 78 Quadratkilometer großen Gelände, bis zu 15 Prozent der weltweiten Population. Humes Vision war es, die nachwachsenden Hörner zu ernten. Diese sind vor allem in Asien Statussymbol und begehrte Zutat für traditionelle Heilmittel. So wollte der Unternehmer Geld verdienen und gleichzeitig das Überleben der Unterart sichern.
John Hume wollte mit Horn handeln. Doch er verzockte sich
Doch seine Bemühungen, das internationale Handelsverbot mit dem Horn der gefährdeten Tiere zu kippen, scheiterten. Hume blieb auf seiner Ernte sitzen – und letztlich auch auf seinen Tieren. Als ihm die Kosten für die Pflege und den Schutz vor Wilderern über den Kopf wuchsen, organisierte er eine Online-Auktion für die gesamte "Platinum Rhino"-Farm samt Fuhrpark, Ausrüstung, Angestellten und einer Menagerie weiterer Wildtiere. Dennoch war niemand bereit, das Mindestgebot von zehn Millionen Dollar zu zahlen. Breitmaulnashörner, so schrieb die britische Zeitung "The Economist", seien "tot mehr wert als lebendig".

Schließlich übernahm African Parks Humes Farm mit Unterstützung der Regierung für einen Bruchteil des Geldes – mit dem Ziel, alle 2000 Nashörner auszuwildern. Die Organisation managt 22 Schutzgebiete in 12 afrikanischen Staaten. "Das Ausmaß dieses Vorhabens ist einfach enorm und daher einschüchternd", sagte Geschäftsführer Peter Fearnhead damals. "Wir sind uns jedoch der moralischen Verpflichtung bewusst, eine Lösung für diese Tiere zu finden, damit sie wieder ihre zentrale Rolle in funktionsfähigen Ökosystemen übernehmen können."
Die Population der Südlichen Breitmaulnashörner hatte sich 2012 auf den höchsten Stand seit mindestens einem Jahrhundert gekämpft; inzwischen fluktuieren die Zahlen. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 15.000 und 16.000 Tiere auf dem afrikanischen Kontinent leben. Sie alle stammen von weniger als 50 Exemplaren ab, die Ende des 19. Jahrhunderts noch in Freiheit lebten. Ein großer Erfolg für den Artenschutz – doch kein Grund, sich in Sicherheit zu wiegen. Dürren, der Verlust von Lebensraum, vor allem aber die zunehmende Wilderei machen den Tieren zu schaffen. Das Schicksal des Nördlichen Breitmaulnashorns zeigt eindrücklich, wie es enden kann. Lediglich zwei Kühe der eng verwandten Unterart leben noch. Sie ist damit funktionell ausgestorben.

Gut die Hälfte der Südlichen Breitmaulnashörner tummeln sich inzwischen auf privatem Land. Die Eigentümer finanzieren ihren Schutz (meist durch bewaffnete Patrouillen) mit Einnahmen aus dem Tourismus und der Jagd, die in Südafrika und Namibia legal ist. Geschossen werden vor allem alte oder überschüssige Bullen. Viele Eigner würden außerdem gern mit dem Horn ihrer Tiere handeln. Eine Legalisierung, so argumentieren sie, trockne den Schwarzmarkt aus, auf dem das Horn teils höhere Preise erzielt als Gold. Viele Artenschützende befürchten hingegen, freier Handel werde die Nachfrage weiter befeuern und es den Behörden erschweren, legale von illegalen Produkten zu unterscheiden. Sie setzen darauf, den Wilderern das Geschäft zu verderben, indem sie beispielsweise die Hörner frei lebender Tiere entfernen oder mit Farbe präparieren.

African Parks widmet sich derweil der Aufgabe, ein sicheres neues Zuhause für alle 2000 Nashörner von "Platinum Rhino" zu finden. Die erste Charge von 40 Nashörnern erhielt im Mai 2024 das Schutzgebiet Munywana Conservancy in Südafrika. Dort sollen die Neuankömmlinge die genetische Vielfalt der heimischen Population stärken. Seither wurden weitere Tiere ausgewildert.
Im Juni dieses Jahres verschickte African Parks erstmals Breitmaulnashörner aus John Humes Herde an einen Park außerhalb der Landesgrenzen. Derzeit beobachtet ein Team im Akagera-Nationalpark in Ruanda das Verhalten und den Gesundheitszustand der Neuankömmlinge. "Die kommenden Monate intensiver Überwachung werden entscheidend sein, um die langfristige Anpassung dieser Nashörner an ihre neue Heimat sicherzustellen", sagt Peter Fearnhead. Auf dem ehemaligen Gelände von Platinum Rhino warten derweil weit über 1000 Tiere darauf, ihre Reise in eine neue Heimat anzutreten.