
Auf Kollisionskurs: der Pottwal Mocha Dick
Bis zum Morgen des 20. November 1820 hatte sich wenig Ungewöhnliches ereignet auf dem amerikanischen Walfangschiff "Essex". Seit 15 Monaten war die 21-köpfige Besatzung unterwegs, um Pottwale zu jagen, hatte das gefährliche Kap Hoorn umsegelt, hatte vor der Küste Perus erfolgreich Beute gemacht und insgesamt Hunderte Fässer mit wertvollem Waltran gefüllt. Doch als die Fangboote an diesem Tag von einer Ausfahrt auf dem östlichen Pazifik zurück zum Schiff fuhren, tauchte ein gigantischer Pottwal auf. Und rammte mit seinem mächtigen Schädel die "Essex". Auf dem Schiff splitterten Planken, Wasser drang ein. Die "Essex" war verloren. Die Männer versuchten, in drei Booten die chilenische Küste zu erreichen, doch nur acht überlebten – auch weil sie in ihrer Verzweiflung vom Fleisch ihrer verstorbenen Kameraden aßen. Möglich, dass der Wal, der die "Essex" versenkt hatte, bereits seit Jahren bekannt war: Im Jahr 1810 hatten Walfänger vor der Insel Mocha nahe der chilenischen Küste einen aggressiven männlichen Pottwal mit heller Haut gesichtet, den sie "Mocha Dick" tauften. Ein Journalist beschrieb ihn 1839 als Albino mit einem von Seepocken bedeckten Kopf, der beim Ausatmen Geräusche wie eine Dampfmaschine von sich gab; sein Rücken gespickt mit den eisernen Rest von Harpunen. Auch ein junger Matrose mit schriftstellerischen Ambitionen hörte von dem unheimlichen Wal: Hermann Melville. 1851 veröffentlichte er seinen Roman "Moby-Dick; oder: der Wal" über das Schicksal des Schiffs "Pequod", dessen einbeiniger Kapitän Ahab von der Jagd auf einen weißen Pottwal besessen ist – und am Ende fast die gesamte Mannschaft ins Verderben reißt. Zu Melvilles Lebzeiten verzeichnete das Buch über den mörderischen Kampf Mensch gegen Natur kaum Erfolg. Erst später wurde es als Meisterwerk der amerikanischen Literatur gefeiert. Der echte Mocha Dick wurde möglicherweise 1859 von schwedischen Walfängern erlegt.
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