
Die Giraffe des Königs: Zarafa, die "Schöne aus Afrika"
Muhammad Ali Pascha, dem Gouverneur der osmanischen Provinz Ägypten, lag viel an guten diplomatischen Beziehungen zum neuen französischen König Karl X. Sonst hätte er ihm kaum ein so ungewöhnliches Geschenk gemacht: eine Giraffe. Tausende Kilometer hatte man das Jungtier über den Nil transportiert; den Weg über das Mittelmeer legte es in einem Schiff zurück, in dessen Oberdeck ein Loch gesägt worden war, durch das es seinen Kopf stecken konnte. Im April 1827 kam das Tier in Marseille an – die erste Giraffe, die nach 300 Jahren lebend Europa erreichte. Nach monatelanger Akklimatisierung begab sich "Zarafa", auch "Belle Africaine" (Schöne Afrikanerin) genannt, zu Fuß auf die 880 Kilometer lange Strecke von Marseille nach Paris. Begleitet von einer Eskorte, zu der auch zwei Kühe für die Milchversorgung gehörten, durch einen Umhang vor Wind und Wetter geschützt (oben eine Illustration von 1927), sorgte Zarafa überall, wo sie in den 41 Tagen ihrer Wanderung vorbeistolzierte, für Volksaufläufe. Reporter berichteten über ihre Schönheit, ihre schwarzen, von langen Wimpern umkränzten Augen. Andere spotteten später darüber, wie winzig sich König Karl X. wohl gefühlt haben müsse angesichts einer "Dame von 14 Fuß Höhe", die von oben auf ihn hinabblickte. In Paris strömten allein im Juli und August 1828 rund 100.000 zahlende Besucher in den Jardin des Plantes, wo die königliche Giraffe ausgestellt wurde. Mehr noch: Bald löste Zarafa eine regelrechte "Giraffomanie" aus. Modisch musste alles "à la girafe" sein: Schuhe, Handschuhe, Kleider wurden "à la girafe" (meist gelb mit braunen Tupfen) verziert, Schärpen, Taschentücher, sogar Tapeten mit Giraffenbildern dekoriert, in Backformen in Giraffenform wurde langhalsiger Kuchen produziert. Frauen türmten ihr Haare "à la girafe" auf, Männer trugen hohe Hüte, "girafiques" genannt, und gescheckte Westen. Sogar Tänze "à la girafe" waren en vogue. Doch die Julirevolution von 1830 lenkte die Aufmerksamkeit auf Wichtigeres, Karl X. ging ins Exil, die Giraffen-Begeisterung versiegte. Zarafa lebte insgesamt 18 Jahre in Paris, bevor sie im Januar 1845 starb und ausgestopft wurde.
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