
Nesthäkchen: Brav, bieder, großbürgerlich
Im späten Kaiserreich und in der Weimarer Republik wuchs eine ganze Generation von Kindern mit dem "Nesthäkchen" auf, jener Geschichte der blonden Arzttochter Annemarie, die Abitur macht, ihr Medizinstudium für die Familie aufgibt und schließlich als Großmutter ihre Enkelkinder die deutschen Tugenden Ordnung, Pflicht und Treue zur "Volksgemeinschaft" lehrt (hier eine Szene aus der ZDF-Verfilmung 1983). Die zehn Bände, geschrieben zwischen 1912 und 1925, machten Else Ury zur wohl meistgelesenen Jugendbuchautorin der 1920er Jahre. Ausgerechnet diese populäre Autorin, die auch über Patriotismus schrieb, wurde ab 1933 ausgegrenzt: Ury war Jüdin. 1935 erteilte die Reichsschrifttumskammer ihr ein Schreibverbot, 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert und ermordet. 1993 machte die Autorin Marianne Brentzel mit ihrem Buch "Nesthäkchen kommt ins KZ" auf das Schicksal der Else Ury aufmerksam.
© United Archives / imago images