Essen im All Nahrung aus Luft und Urin? Die ESA erforscht die Zukunft der Astronautenkost

  • von Carlotta Wagner
Die ISS im Weltraum
Die ISS könnte Versuchsort für die Produktion von Weltraumnahrung aus Gasen und Urinbestandteilen werden
© Nasa / AP / dpa
Das Protein Solein braucht weder Ackerland noch Sonnenlicht zum Wachsen, dafür Gase und Urin. Die ESA macht den Anbau in einem neuen Projekt weltraumfähig

Geschlafen wird im schwebenden Schlafsack, anstelle einer Dusche genügen auch Feuchttücher – aber eine nachhaltige und nahrhafte Lebensmittelversorgung, die den Energiebedarf der Besatzung deckt, bleibt eine der größten Herausforderungen der bemannten Weltraumforschung. Mit der Idee, menschlichen Urin in Nahrung zu verwandeln, verfolgt die Europäische Raumfahrtorganisation ESA deshalb große Ziele.

Im Projekt HOBI-WAN ("Hydrogen Oxidizing Bacteria In Weightlessness As a source of Nutrition") soll in der Schwerelosigkeit erstmals das proteinreiche Pulver Solein hergestellt werden. Dieses sogenannte "Protein aus der Luft" hat das finnische Food-Tech-Unternehmen Solar Foods entwickelt. Die Zutaten: Gase wie Wasserstoff, CO₂, Sauerstoff und Stickstoff.

Solein Proteindrink
In Pasta, als Fleischersatz oder – wie hier – als Proteindrink: Solar Foods wirbt mit dem vielfältigen Einsatz des Proteinpulvers
© Santeri Stenvall / Solar Foods

Nun wird der gesamte Prozess zusammen mit dem Raumfahrtunternehmen OHB System weltraumtauglich gemacht – mit einer kleinen Modifikation: Der Stickstoff für die Proteinproduktion stammt aus menschlichem Urin.

Das Protein Solein soll Menschen im All ernähren

Denn der Platz auf Raumfahrtmissionen ist begrenzt. Jedes Gramm Nahrung, das transportiert wird, wirkt sich auf die Flugdynamik der Rakete aus. Und auch Bringdienste sind nicht immer eine Option: Regelmäßige Nachschubmissionen von der Erde sind teuer und logistisch aufwendig.

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Auf Weltraumspaziergängen tragen Astronauten und Astronautinnen eine Windel. Doch bei Mond- oder Marsmissionen wird eine solche Wasserverschwendung schnell gefährlich. Ein neu entwickeltes System soll Urin künftig umgehend recyceln

Dieses Problem soll nun das Protein Solein lösen, dass weder Ackerland noch Sonnenlicht benötigt. Es wurde entwickelt als vielseitige Proteinquelle für unterschiedlichste Lebensmittel.

Astronauten-Urin als Stickstoffquelle

Für die Herstellung des Proteinpulvers kultivieren die Forschenden Bakterien aus Xanthobacter-Stämmen in einem Bioreaktor in einer Nährlösung. Auf dem Speiseplan stehen: Sauerstoff, CO2 , Wasserstoff und Stickstoff. Die Bakterien nutzen diese Gase, um eine proteinreiche, gelbliche Biomasse herzustellen.

Nach der Trocknung bleibt das gelbe Pulver Solein zurück, das zu 78 Prozent aus Protein besteht, außerdem in geringen Mengen Fette, Ballaststoffe, Kohlenhydrate und Mineralstoffe enthält. Es ist geschmacklich eher neutral und lässt sich in vielen Gerichten verwenden.

Während auf der Erde Ammoniak als Stickstoffquelle dient, soll bei der Solein-Herstellung im Weltraum Harnstoff zum Einsatz kommen, ein Bestandteil des Urins. Auch das CO2 – auf der Erde aus der Atmosphäre gewonnen –, könnte aus dem ausgeatmeten Gas der Astronaut*innen recycelt werden, sodass ein effizienter Kreislauf entsteht.

Auch auf der Erde nützlich?

Im Rahmen des ESA-Projekts wird nun geprüft, ob das System im Weltall funktioniert. In der Schwerelosigkeit verhalten sich Gase und Flüssigkeiten anders. Zudem ist das Gemisch aus Wasserstoff und Sauerstoff hochexplosiv, erfordert also besondere Vorsicht. Tests auf der Erde gehen deshalb Experimenten auf der Internationalen Raumstation ISS voraus.

Anne McClain mit einem Kuchen auf der ISS
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© Jonny Kim / Nasa

Projektleiter Jürgen Kempf sagt: "Wir erforschen, wie menschliches Leben im Weltraum nachhaltig unterstützt werden kann. Die Erkenntnisse, die wir hier gewinnen, könnten auch dazu beitragen, globale Herausforderungen auf der Erde zu bewältigen – wie Ressourcenknappheit und Ernährungssicherheit."

Bis das Protein Solein auf dem Speiseplan von Astronaut*innen steht, wird es wohl noch einige Jahre dauern. Wenn diese ihre Nahrung aus eigenen Abfällen selbst produzieren könnten, wären sie auf Langzeitmissionen weitgehend unabhängig von Nachschublieferungen – völlig losgelöst von der Erde.

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