Was immer wir tun: Es ist mit Gefahren verbunden. Aber selten machen wir uns das genauer bewusst – erst recht nicht im Weihnachtsstress. Wieviel sicherer ist es, statt mit dem Auto doch lieber mit der Bahn zur Verwandtschaft zu reisen? Ist ein Tag Skifahren während der Weihnachtsferien riskanter als einer im Krankenhaus, wenn die Abfahrt mit einem gebrochenen Bein endet? Und schenke ich meinem erlebnishungrigen Bruder, wenn ich auch nächstes Jahr noch mit ihm Weihnachten feiern will, besser den Gutschein für einen Fallschirmsprung oder für einen Tauchkurs?
Alltagsgefahren werden tendenziell unterschätzt
Fachleute wie Gerd Gigerenzer, Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz in Potsdam, beklagen seit Jahren: Wir neigen dazu, Gefahren von Einzelereignissen, die wir nicht kontrollieren können, zu überschätzen – oft auch wegen der starken, schockierenden Bilder, die damit verbunden sind. Die Terroranschläge auf Weihnachtsmärkte in Magdeburg und Berlin etwa gehen niemandem aus dem Kopf. Auch das Ende eines gescheiterten Fallschirmsprungs kann sich jeder gut ausmalen. Stillere Risiken aber, die uns täglich begleiten, verdrängen wir gern: zum Beispiel das eines Herzinfarkts oder eines ganz banalen Verkehrsunfalls.
Um mit Risiken offen und damit vernünftiger umzugehen, hilft eine Welt, in der sich die wenigsten von uns täglich bewegen: die Raumfahrt. Ins All zu fliegen, ist ohne Frage gefährlich. Doch wie gefährlich genau? Und auf welche Faktoren muss man besonders achten, um sicher wieder zu landen?
Für jeden Teil einer Weltraum-Mission rechnen Expertinnen und Experten der Raumfahrtagenturen im Vorfeld das Risiko eines Scheiterns aus.
Die Gefahr beispielsweise, dass ein Mikrometeorit oder auch ein Stück Weltraumschrott in die Raumstation ISS einschlägt und dabei lebensbedrohliche Schäden verursacht, lag bis vor Kurzem (auf einen Zeitrahmen von zehn Jahren gerechnet) bei 50 Prozent. Das Risiko eines Lecks gehört damit zu den größten Todesgefahren auf der Raumstation – zusammen mit der Gefahr einer Feuerausbruchs, einer Krankheit und einer Vergiftung der Atemluft durch den Austritt von Ammoniak aus dem Kühlsystem.
Wenn man so etwas weiß, kann man gegensteuern. Eine besonders leckanfällige Stelle der ISS, an der Raumfähren andocken, hat deshalb nun neue Schutzplatten bekommen – was die Sicherheit auf der ganzen Station deutlich stärkt.
Insgesamt beträgt die Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Unfalls während einer halbjährigen ISS-Mission etwa 1,25 Prozent – also 1 zu 80.
Aber: Ist das nun viel oder wenig?
Die Mathematik des Todes
Um vollkommen unterschiedliche Risiken miteinander vergleichen zu können, rechnen Entscheidungsforscher fürs All und auf Erden in "Mikromort" – einer Maßeinheit der Gefahr.
Ein Mikromort entspricht dabei einer Chance von eins zu einer Million, durch eine bestimmte Handlung ums Leben zu kommen. Ein Verhalten im Größenbereich von 1 000 000 Mikromort führt nahezu sicher zum Tod, eine Handlung mit 100 000 dagegen statistisch nur in jedem zehnten Fall.
Das Grundrisiko eines 25-jährigen Menschen in Mitteleuropa, im Laufe eines normalen Tages zu sterben, liegt bei ungefähr einem Mikromort – was etwa genauso wahrscheinlich ist, wie bei einem Münzwurf 20-mal hintereinander zum selben Ergebnis zu kommen. Im Alter steigt dieses Grundrisiko naturgemäß an, ebenso wie durch alltägliche Entscheidungen.
Wer eine halbjährige Mission zur Raumstation ISS antritt, belastet sein "Risikokonto" mit 12.500 Mikromort. Die Reise ist damit etwas sicherer als eine Bypass-Operation. Oder, anders gerechnet: Ein 40-jähriger Astronaut hat im Jahr seiner Sternenreise ein ähnliches Sterberisiko wie ein "normaler" 65-jähriger Mitteleuropäer am Boden.
Und was bedeutet das für die Weihnachtszeit?
Für den Besuch der Familie lohnt es sich, in den Zug zu steigen: Bei einer Autofahrt steigt das Risiko eines tödlichen Unfalls alle 500 Kilometer um circa ein Mikromort, bei der Bahn erst nach 10.000 Kilometern! Wer Ski fährt, tut gut daran, einen Helm zu tragen – und seine Geschwindigkeit in den Grenzen des Kontrollierbaren zu halten. Das Risiko eines tödlichen Sturzes liegt für einen Skitag zwar "nur" bei rund 7 Mikromort. Richtig gefährlich aber wird es, wenn man verletzt ins Krankenhaus muss: Das Risiko eines Patienten, sich dort mit tödlichen Keimen zu infizieren, schätzen Experten für Deutschland auf 781 Mikromort.
Der Fallschirmsprung für den Bruder (im Tandem mit einem Lehrer oder einer Lehrerin) ist gegenüber dem Tauchkurs das sicherere Geschenk: Er ist in etwa genauso gefährlich wie ein Tag Skifahren. Die Gefahren einer Tauchreise von fünf Tagen hingegen addieren sich (je nach Tiefe der Tauchgänge und der Ausrüstung) mit rund 25 bis 50 Mikromort auf einen deutlich höheren Stand.
Vor allem aber gilt in den Feiertagen genau wie im Weltraum: Gib acht aufs Herz! Studien zeigen, dass die Gefahr eines Herzinfarkts an den Weihnachtstagen statistisch gesehen deutlich höher als sonst im Jahr ist. Kein Wunder: Man ist genervt, weil die Weihnachtskäufe das Bankkonto aufzehren und große Erwartungen der Familie zu erfüllen sind. Schweres Essen und Alkohol belasten den Körper, Frühwarnzeichen wie Kurzatmigkeit oder Brustschmerzen ignoriert man – passt ja zur Festtagsstimmung auch gerade nicht.
Um Weihnachten sicherer zu durchleben, hilft also vor allem derselbe Grundsatz, den auch Astronautinnen und Astronauten befolgen, wenn sie beim Start ins All in dem Cockpit ihrer Rakete sitzen: den Risiken vor sich beherzt ins Auge zu schauen – und dabei gleichzeitig so entspannt wie nur möglich zu bleiben.