GEO: Herr Dr. Blight, in den USA entbrennt ein Kulturkampf: US-Präsident Donald Trump setzt Universitäten, Museen und andere Bildungseinrichtungen unter Druck. Zuletzt kündigt das Weiße Haus in einem Brief an, ausgewählte Museen der Smithsonian Institution staatlicher Begutachtung zu unterziehen. Welche Folgen hat das für die US-Demokratie?
David Blight: Dieser Brief zeigt uns, dass Trump und seine Berater vor nichts zurückschrecken. Sie wollen die Kontrolle über die US-Kultur übernehmen. Dabei geht es nicht nur um die Smithsonian-Museen. Die Folgen für die Demokratie sind verheerend. Keine Demokratie kann lange überleben, wenn der Chef ihrer Exekutive den Museen, den Universitäten und öffentlichen Schulen Vorschriften macht. Eine Demokratie kann nicht funktionieren, wenn ein Präsident diktiert, wie Geschichte geschrieben wird.
In dem Brief heißt es, die Überprüfung der Museen habe das Ziel, "die amerikanische Ausnahmestellung zu feiern, spaltende oder parteiische Narrative zu beseitigen und das Vertrauen in unsere kulturellen Institutionen wiederherzustellen." Was ist damit gemeint?
In Trumps Vorstellung ist die amerikanische Geschichte eine einfache Gleichung: Die Erzählung einer großen Nation, die sich im späten 18. Jahrhundert über Glaubensbekenntnisse in der Unabhängigkeitserklärung und später der Verfassung gründete. Hier und da mag man sich ein wenig verirrt haben, aber am Ende verfolgt Trumps Geschichtserzählung immer einen Kurs zu mehr Freiheit, mehr Gleichheit und größeren Errungenschaften der USA in der Welt. Dabei wird die amerikanische Vergangenheit als "außergewöhnlich" gefeiert. Erzählt werden immer Fortschritt und Triumph, niemals die Tragödien. Das widerspricht jedem Instinkt des Historikers. Die Executive Order vom 27. März ist eine Kriegserklärung an die Geschichtsschreibung in diesem Land.
Hat nicht jeder amerikanische Präsident Einfluss auf die Geschichtsschreibung gehabt?
Ja, die amerikanische Präsidentschaft ist ein "Bully Pulpit", eine "Kanzel für Rüpel", also eine Machtposition, von der aus der jeweilige Amtsträger seine Interpretation der Geschichte verbreiten kann. Viele US-Präsidenten haben etwas über die amerikanische Geschichte gesagt, das gehört auch zu ihren Aufgaben. Woodrow Wilson, Theodore Roosevelt, Jimmy Carter, Richard Nixon oder Barack Obama haben selbst Geschichte in Büchern aufgeschrieben - meistens nach ihrer Zeit im Amt. Sie versuchen so, die Kontrolle über ihre eigene Geschichte zu behalten, allerdings in einem angemessenen Maß. Aber kein amerikanischer Präsident hat jemals versucht, die Geschichte derart umzugestalten, wie Trump es anstrebt.
Warum zielt Trump auf die Smithsonian-Museen?
Die Smithsonian Institution ist ein riesiges Bildungsnetzwerk. Dazu gehören rund 20 unterschiedliche Museen, das größte Museumssystem der Welt. Trump und seine Anhänger wollen die Museen kontrollieren, um uns vorzuschreiben, wie wir über die Vergangenheit zu denken haben. So versuchen sie, unsere Vorstellungskraft und geistige Freiheit einzuschränken. Auf dem Spiel steht jetzt die Freiheit des Denkens, die Möglichkeit, sich frei zu bilden. Es ist eine Verletzung unserer Menschenrechte. Geschichte ist dazu da, dass wir aus ihr lernen. Sie führt uns unsere Fehler und Schwächen vor Augen.

Wie reagierten die Mitarbeitenden der Smithsonian Institution auf das Schreiben?
Die Mitarbeitenden der Smithsonian-Museen befinden sich in einer schwierigen Situation. Kim Sajet, die Direktorin der National Portrait Gallery, wurde bereits zum Rücktritt gedrängt. Lonnie G. Bunch, Direktor der Smithsonian Institution, sieht sich Angriffen ausgesetzt, Trump will auch ihn zum Rücktritt bewegen. Die Direktoren der Museen müssen sich zurückhalten, sie werden immer vorsichtiger. Kuratoren, Techniker, Historiker, alle Mitarbeiter, die die Ausstellungen gestalten, sind verängstigt. Sie haben Angst, ihre Meinung zu sagen. So funktioniert Faschismus: Angst wird dazu benutzt, um uns zum Schweigen zu bringen. Das ist keine freie Gesellschaft mehr. Das kann so nicht weitergehen.
Was daran widerspricht dem Instinkt des Historikers?
Die Arbeit des Historikers ist es, Quellen und Dokumente zu untersuchen, die uns dabei helfen, eine Geschichte davon zu schreiben, was in der Vergangenheit passiert sein könnte. Manchmal ist diese Geschichte ein Triumph. In der amerikanischen Geschichte ist Großartiges, aber auch Schlimmes geschehen. Die wohl größte Katastrophe, die unser Land jemals erlebt hat, ist der Amerikanischen Bürgerkrieg. Ungefähr 700.000 Menschen starben. Dieser Krieg hat das Land und seine Menschen auseinandergerissen. Unter der aktuellen Kulturpolitik müssten wir den Amerikanischen Bürgerkrieg in eine fröhliche Erzählung verwandeln, und über all den Schmerz, die Wut und die Trauer einfach hinwegsehen.
2026 feiern die USA ihren 250. Geburtstag. Ist es ein Zufall, dass Trump der Geschichtsschreibung jetzt Vorschriften macht?
Nein. Der 250. Jahrestag der amerikanischen Unabhängigkeit ist ein entscheidender Grund, warum Trump und seine Anhänger die Geschichtsschreibung kontrollieren wollen. Schon während seiner ersten Amtszeit gründete Trump eine 1776-Kommission, ein Gremium aus rechten Kräften, von denen die meisten keine Historiker waren. Jetzt haben sie das Gremium wieder eingesetzt. Nächstes Jahr wird das Weiße Haus zu diesem Jubiläum Millionen Dollar für Paraden, Shows und Veranstaltungen ausgeben. Schon 1976 waren die Festlichkeiten zum 200. Jahrestag vorwiegend konsumorientiert. Damals wurden alle möglichen 1776-Produkte an die Leute verkauft. Das wird bestimmt wieder passieren. Trump tut alles für Kontrolle und Aufmerksamkeit. Und natürlich Geld: Er wird versuchen, an dem Jubiläum zu verdienen. Er wird wahrscheinlich eine neue Kappe herausholen. Das Weiße Haus wird versuchen, die 250-Jahr-Feier zu einem rechten Nationalfest zu machen, bei dem ein triumphales und glorreiches Amerika bejubelt wird. Aber es wird sicherlich auch Gegen-Gedenkfeiern geben.
Schon im März veröffentlichte Trump die Executive Order "Restoring Truth and Sanity to American History", die fordert, "Wahrheit und Vernunft in der amerikanischen Geschichte wiederherzustellen".
Die Trump-Regierung versucht, ein Ministerium für Wahrheit zu erschaffen, in Anlehnung an George Orwells "1984". Dieser furchterregende Roman handelt von dem Überwachungsstaat Oceania. Dort gibt es vier Ministerien, eines davon ist das Wahrheitsministerium. Es kontrolliert die Ideen der Menschen – und die Geschichtsschreibung. Dieser dystopische Roman erzählt davon, wie ein Staat die Menschen kontrolliert, ihnen Vorstellungskraft und Neugier nimmt. Das macht die Menschen darin zu willenlosen Puppen, die einfach nur so funktionieren, wie der Staat es vorschreibt. Es wäre das bestmögliche Ergebnis für die Trumpisten. Natürlich würden sie das niemals zugeben. Die Deutschen wissen das nur zu gut.
Was meinen Sie damit?
Trump und seine Anhänger kontrollieren bereits sehr effektiv die Medien. Das haben Trumpisten vom Dritten Reich übernommen, bewusst oder unbewusst. Über diese Kontrolle funktioniert Autoritarismus. Das können wir nicht nur am Aufstieg des Dritten Reiches sehen, sondern auch in anderen faschistischen Regimen in Spanien unter Franco, in Italien unter Mussolini, in der Sowjetunion und unter Putin im heutigen Russland. Die aktuellen Verordnungen von Trump sind nur die ersten Schritte: Erst übernehmen Trump und seine Anhänger die Kontrolle über die Smithsonian-Museen, dann kontrollieren sie auf einmal Kunst, Kultur und Forschung und schließlich das gesamte Bildungssystem. Am Ende erschaffen sie einen totalitären, autoritären Staat. Es ist direkt aus dem Drehbuch des Faschismus des 20. Jahrhunderts entnommen. Diesem folgend haben Trump und seine Anhänger auch den Begriff Wahrheit zurückgeholt.
Inwiefern zurückgeholt?
Die Wahrheit in der Geschichte ist das, was wir vorfinden. Aus Dokumenten und Quellen erfahren wir Teile des vergangenen Geschehens. Auf der Suche nach der Wahrheit setzen wir Historiker diese Puzzleteile nach bestem Gewissen zusammen und entwerfen eine ihnen naheliegende Geschichte. Wir müssen argumentieren, wie es gewesen sein könnte, und die Wahrheit anhand der Quellen beweisen. Natürlich ist die historische Wahrheit immer relativ, und sie ist niemals vollständig. Wir Geschichtsschreiber sind bisher davon ausgegangen, dass wir uns nicht mehr mit der Definition der historischen Wahrheit auseinandersetzen müssen - weil sie uns als Konsens erschien. Die derzeitige Diskussion ist nichts anderes als Trumpismus. Es ist deprimierend, denn wir kämpfen gegen einen Goliath. Aber wir Historiker wehren uns dagegen.
Was genau können Sie unternehmen?
Einerseits können nur Gerichte Trump und seine Anhänger stoppen. Aber auch die Überzeugungskraft kann wirksam sein. Unsere einzige Waffe ist es, uns zu einer Massenbewegung zu mobilisieren und durch das Schreiben und das Reden in der Öffentlichkeit zur Wehr zu setzen. Ich habe den rechtskonservativen Historiker Kevin Roberts herausgefordert. Er ist Präsident der konservativen US-Denkfabrik Heritage Foundation und einer der zentralen Initiatoren des "Project 2025". Dieses Manifest legt den Grundstein für die Umgestaltung der US-Geschichtsschreibung. Roberts hat zugesagt, mit mir öffentlich darüber zu diskutieren, was die amerikanische Geschichte ist. Eine Debatte werden wir in einem republikanischen Bundesstaat und eine in einem demokratischen Bundesstaat abhalten. Wenn wir das nicht tun, wird dieser Versuch der staatlichen Kontrolle über unsere Geschichte gelingen. Wir können diese Entwicklungen jedenfalls nicht einfach hinnehmen.