Hunderte Lehrer und Lehrerinnen, die aus ihrem Beruf getrieben werden von "besorgten Müttern", Schulausschüssen und parlamentarischen Komitees, Tausende weitere, die Angst haben, "kontroverse" Themen im Unterricht anzusprechen: Was die aktuelle Stimmung in den USA zu beschreiben scheint, war die Wirklichkeit in amerikanischen Schulen in den 1940er und 1950er Jahren. Angefeuert unter anderem von Senator Joseph McCarthy und dem "House Committee on Un-American Activities", witterten Kommunistenjäger überall Agenten der Sowjetunion und sozialistische Umtriebe: in Hollywood, bei Impfkampagnen, in Schulen.
Und auch an Universitäten: Das "National Council for American Education", eine private New Yorker Gruppe mit offiziell klingendem Namen, gab Pamphlete heraus wie "Sie wollen Dein Kind" oder "Red-ucators at Harvard" (etwa: rote Pädadogen in Harvard). Ihr Gründer, der Antisemit und Faschist Allen Zoll, glaubte 1949, an der Columbia Universität 87 "prokommunistische" Professoren gefunden zu haben, 60 in Chicago, 30 in Yale und 76 in Harvard. Vor allem die Eliteuni in Cambridge galt Antikommunisten als "Kreml am Charles" – dem Fluss, der Boston vom Campus trennt.

Warum Harvard? Vermutlich aus ähnlichen Gründen, aus denen mehr als 70 Jahre später auch Donald Trump und sein Berater Stephen Miller den Streit suchen mit jener Universität, die 140 Jahre älter ist als die USA und deren Vermögen das Bruttoinlandsprodukt der meisten Länder weltweit übersteigt: Sie ist die mächtigste und renommierteste, wer sie in die Knie zwingt, fährt einen wichtigen symbolischen Sieg gegen das Bildungssystem ein. Zudem gilt sie als Hort der Liberalen, Trumps Vorgänger Barack Obama hat hier Jura studiert.
Trumps Vorgänger im Geiste kannten Harvard vor allem als Alma Mater vieler progressiver Politiker und Denker, die in den 1930ern die Sozial- und Wirtschaftsreformen des "New Deal" erdacht und durchgesetzt hatten, darunter Präsident Franklin D. Roosevelt selbst.
1953, nach dem erdrutschartigen Wahlsieg des Republikaners Eisenhower, wendet sich McCarthy Harvard zu. Und trifft im ebenfalls neu angetretenen Universitätspräsidenten Nathan Pusey auf einen Gegner, der sich weigert, vor Washington das Knie zu beugen. Zwar ist Harvard, anders als seine Gegner glauben wollen, keine Hort des Kommunismus. Eine Mehrheit der Lehrenden spricht sich in einer Umfrage dagegen aus, dass Kommunisten Lehrer werden dürfen, und linke Studierende und Dozenten bekommen in diesen Jahren auch in Harvard Schwierigkeiten.

Doch als McCarthy Pusey auffordert, vier Professoren zu entlassen, darunter den Physiker Wendell H. Furry, lehnt der Univeristätspräsident ab. Er verkündet: “Amerikanismus heißt nicht: ein beschränktes und erzwungenes Glaubenssystem; das kann es nicht heißen. Unsere Aufgabe ist es, freie, unabhängige und energische Geister zu schulen, die Fakten von Propaganda unterscheiden können und die Wahrheit von Halbwahrheiten und Lügen.“
Seine Nachfolger in der Leitung der Eliteuni scheinen seinem Beispiel folgen zu wollen: Diese Woche haben sie jede Einmischung der Regierung in ihre Personalpolitik, die Auswahl von Studierenden und den Lehrplan abgewiesen. Trump hat daraufhin mehr als zwei Milliarden Dollar Fördergelder einfrieren lassen.