Am 30. Mai 1770 drängen sich Hunderttausende Pariserinnen und Pariser in den Straßen um den heutigen Place de la Concorde. Gebannt schauen sie auf eine riesige Tempelkulisse, die für jenen Tag aus Holz gezimmert wurde. Sie alle wollen einen Blick auf das spektakuläre Feuerwerk erhaschen, das ihnen angekündigt wurde: den öffentlichen Höhepunkt der Hochzeitsfeierlichkeiten für Kronprinz Louis-Auguste (später Ludwig XVI.) und die österreichische Erzherzogin Marie-Antoinette. Das Publikum erwartet in den Himmel schießende Raketen, glitzernde Kaskaden, funkensprühende Feuerräder, kunstvolle Flammenfiguren. Doch was als ausgelassenes Fest beginnt, endet in einer Katastrophe.
Architekten der Show sind die Ruggieris. Die Pyrotechniker stammen aus Italien. Fünf Brüder, die vermutlich 1739 aus Bologna nach Paris kamen: Gaetano, Pietro, Francesco, Antonio und Petronio. Zunächst peppten sie die Theateraufführungen der Comédie-Italienne mit Pyroeffekten auf und unterhielten das Publikum in den Pausen mit kunstvollen Darbietungen, mit drehenden Feuerrädern und selbstzündenden Raketen. Keine ungefährliche Angelegenheit in einem Holzgebäude. Der Rauch der Explosionen zog durch eine Öffnung in der Decke des Theaters ab, um dem Publikum nicht buchstäblich den Atem zu rauben.
Doch die Begeisterung der Zuschauer war größer als ihre Angst. Zu einer Zeit, als Pyrotechnik mehr Handwerk als Wissenschaft war, präsentierten die Ruggieris nie gesehene Effekte. Berühmt waren sie etwa für ihre Fähigkeit, einen ruhenden Feuerwerkskörper mit einem sich bewegenden zu entzünden. Schon bald wurden ihre Darbietungen zu einer eigenständigen Attraktion. 1743 ernannte der damalige Herrscher Ludwig XV. die Italiener zu "artificiers du Roi", zu königlichen Feuerwerkskünstlern.
Fortan richteten die Ruggieris Spektakel für die Reichen und Mächtigen aus. Gaetano reiste auf Geheiß von König George II. nach London, wo er 1749 ein Feuerwerk zur Feier des Friedens von Aachen organisierte. Es sollte das größte werden, das die Insel je gesehen hatte. Über Wochen war im Green Park eine 120 Meter lange und 30 Meter hohe Tempel-Kulisse aus Holz und Leinwand errichtet worden, auf denen in großen Lettern "Vivat Rex" stand: Es lebe der König. Georg Friedrich Händel hatte eigens eine Festmusik komponiert. Doch viele Londoner waren skeptisch. Sie sahen das Brimborium als Geldverschwendung. Und tatsächlich wurde die geplante Triumphfeier zum Rohrkrepierer. Nieselregen durchweichte die Feuerwerkskörper. Viele Effekte zündeten nicht. Ein italienischer Feuerwerker forderte einen britischen Kollegen wutentbrannt zum Duell heraus. Und inmitten der Show setzte ein Irrläufer einen Pavillon in Brand. Das Feuer löste eine Panik aus, die drei Menschen das Leben kostete.
Doch dieses Unglück erscheint harmlos angesichts der Katastrophe, die 1770 während der Hochzeitsfeierlichkeiten in Paris ihren Lauf nahm. Erneut entzündete ein Feuerwerkskörper die aus Holz gezimmerte Kulisse und weitere Sprengladungen. Erneut brach Panik aus. Doch sie nahm ungleich größere Dimensionen an. Menschen wurden von der fliehenden Menge in den engen Straßen totgetrampelt oder in die Seine gestoßen, wo sie ertranken. Offizielle Stellen bezifferten die Zahl der Todesopfer auf 132. Doch der Schriftsteller Louis-Sébastien Mercier schreibt: "Ich kann ohne Übertreibung sagen, dass in der allgemeinen Panik und dem Gedränge mehr als zwölfhundert unglückliche Menschen ihr Leben verloren haben. Eine ganze Familie verschwand, und es gab kaum einen Haushalt, der nicht den Tod eines Verwandten oder Freundes zu beklagen hatte." Der Abend gilt bis heute als größte Feuerwerkskatastrophe der Geschichte.
Royales Comeback unter Napoleon
Wundersamerweise überlebte das Geschäft der Ruggieris das Fiasko. Zwar wurden die Aufträge der Aristokratie im Vorfeld der Französischen Revolution immer spärlicher. Doch die Ruggieris diversifizierten ihr Geschäft. Sie eröffneten beispielsweise Lustgärten, Vorläufer moderner Freizeitparks, in denen sie ihre Kunst gegen Eintritt zeigten. Ab 1786 ließ die Familie Feuerwerk aus Heißluftballons abschießen, ein ebenso spektakulärer wie gefährlicher Coup. Als Napoleon Bonaparte die Macht ergriff, waren ihre Fähigkeiten erneut bei Hofe gefragt. So illuminierte die zweite Generation der Ruggieris 1810 die Hochzeit von Napoleon Bonaparte und Marie-Louise von Österreich. Diesmal glänzte vor allem Claude-Fortuné Ruggieri, Sohn von Petronio.
Im Zentrum seiner Vorführung stand erneut ein Tempel, umgeben von Palmen mit Blättern aus grünem Feuer. Effekte dieser Farbe waren Ruggieris neueste Innovation. Er mischte dazu Grünspan, Kupfersulfat und Ammoniumchlorid mit Alkohol, tauchte Baumwollfäden hinein und setzte sie in Brand. Vielen gilt er damit als Erfinder des farbigen Feuerwerks. Doch er war nicht der erste, der mit Metallsalzen bunte Flammen zauberte. Ruggieris Inspiration stammte aus Russland, wo Kollegen die Kunst des grünen Feuers bereits gemeistert hatten.

Wurden die Geheimnisse des Handwerks früher sorgfältig gehütet, veröffentliche Claude-Fortuné Ruggieri Schriften über seine technischen Entwicklungen und die Geschichte seiner Familie. Gern wäre er wohl auch als Pioniere der bemannten Luftfahrt in die Geschichte eingegangen. Wenn seine Familie Raketen in die Luft schießen konnte – warum dann nicht auch Menschen? Zunächst katapultierte er auf diese Weise ein Schaf in die Höhe. An einem Fallschirm segelte es zurück zur Erde. 1830 sollte ein menschlicher Freiwilliger folgen, ein schmächtiger elfjähriger Junge. Doch die Polizei unterband das öffentliche Spektakel in Paris.
Auch wenn die explosive Kunst der Ruggieris im Laufe der Zeit viele Leben forderte: Ihr eigentlicher Zweck war es, Menschen zu erfreuen. Das änderte sich im Ersten Weltkrieg. Der Familienbetrieb stieg ins Rüstungsgeschäft ein. Er fertigte unter anderem Triebwerke für Raketen, Rauchsignalpatronen, Signalraketen und Leuchtgranaten.
Erst im Frieden wandte er sich wieder seinem früheren Kerngeschäft zu. Ein Familienunternehmen ist Ruggieri nach etlichen Fusionen und Übernahmen nicht mehr. Seit 1997 gehört es zur Lacroix-Gruppe, einem internationalen Elektronikhersteller. Doch sein Geschäft sind weiterhin spektakuläre Feuerwerksshows für Großereignisse, etwa für die Weltausstellung in Kasachstan, zu Nationalfeiertagen in Dubai oder Frankreich. Pro Jahr werden in 6000 Shows rund 200 Tonnen Schwarzpulver gezündet. Die Sterne, Feuerräder und Funkenregen von Ruggieri erleuchten auch den Himmel über Paris. Die fünf Brüder hätten wohl ihre Freude gehabt.