Erstmals zählen ein pausbäckiges Baby und eine von ihrem Posten gefeuerte Gesundheitsexpertin zu den Menschen, die die Wissenschaft in diesem Jahr nach Ansicht des Wissenschaftsmagazins "Nature" maßgeblich prägten. Die insgesamt zehn ausgewählten Personen stünden für einige der bedeutendsten Momente 2025 – überwiegend, aber nicht nur in positivem Sinn. Unter den "Nature’s 10" sind fünf Frauen.
KJ Muldoon - das unheilbar kranke Baby
Der kleine KJ Muldoon war ein halbes Jahr alt, als er im Februar seine erste Gentherapie-Infusion erhielt. Das Baby aus Philadelphia litt an einer extrem seltenen, für Säuglinge häufig tödlichen Erkrankung, durch die sein Körper Probleme mit der Verarbeitung von Proteinen hatte. Die innovative Gentherapie habe ihn nach aktuellem Stand geheilt, heißt es im "Nature’s 10"-Beitrag. Experten sehen einen Meilenstein für individualisierte Gentherapien bei seltenen Erkrankungen.
Susan Monarez - standfeste Behördenchefin
Für wissenschaftliche Grundsätze und Werte stand Susan Monarez ein – und wurde dafür von der US-Regierung unter Präsident Donald Trump gefeuert. Weniger als vier Wochen war die Mikrobiologin und Immunologin Leiterin der US-Zentren für Krankheitskontrolle und Prävention (CDC), der wichtigsten öffentlichen Gesundheitsbehörde des Landes. Laut eigener Aussage hatte sie sich Anweisungen von Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. widersetzt, Kollegen zu entlassen und wissenschaftlich nicht fundierte Impfstoffrichtlinien durchzusetzen. Ihre moralische und wissenschaftliche Integrität habe sie nicht opfern wollen.
Kennedy sei langjähriger Impfgegner und habe aus seiner Verachtung für die CDC nie ein Hehl gemacht, heißt es bei "Nature". Monarez steht demnach für eine schlimme Gesamtentwicklung: Unter Trump wurden Fördergelder gestrichen, hunderte Regierungsforscher entlassen und die Finanzierung von Universitäten blockiert.
Achal Agrawal - beharrlich gegen wissenschaftliches Fehlverhalten
Ungeachtet der Konsequenzen für die eigene Karriere habe auch Achal Agrawal agiert, erläutert das "Nature"-Team. Der indische Mathematiker und Datenwissenschaftler habe beharrlich die mangelhafte Forschungsintegrität im Land - etwa durch verschleierte Plagiate - kritisiert und sehr viel Aufklärungsarbeit geleistet. Seinem Engagement sind "Nature" zufolge politische Änderungen zu verdanken, dank derer bei Hochschulrankings nicht mehr nur die Zahl vorgelegter Studien, sondern auch deren Qualität berücksichtigt wird.
Precious Matsoso - hart, aber herzlich für einen Pandemieplan
Hartnäckigkeit im Streben nach Verbesserung ist "Nature" zufolge auch Precious Matsoso zu eigen. Die Gesundheitsbeauftragte an der Universität von Witwatersrand in Pretoria (Südafrika) machte den ersten globalen Pandemievertrag möglich, der im kommenden Jahr in Kraft treten soll, wie in "Nature" erläutert wird. "Ich bin überwältigt, überglücklich", habe Matsoso am Morgen der Entscheidung gesagt, denen jahrelange hart umkämpfte Verhandlungen vorangegangen seien.
Das Abkommen legt Leitlinien für die weltweite Zusammenarbeit fest, um der nächsten Pandemie vorzubeugen, sich darauf vorzubereiten und darauf zu reagieren - gerechter als bei Covid-19. Bei allem Kampfgeist für die Sache sei Matsoso in den Verhandlungen auch sehr herzlich gewesen: Mindestens einmal habe sie für die Delegierten "All You Need Is Love" von den Beatles gesungen, um zu mehr Zusammenarbeit zu animieren. "Ich musste alle Register ziehen, um sie dazu zu bringen, die Arbeit zu erledigen", so Matsoso.
Tony Tyson - unermüdlicher Teleskop-Pionier
Hartnäckig war auch der Physiker Tony Tyson, der Visionär hinter dem neuen Weltraum-Observatorium "Vera C. Rubin" in Chile, wie "Nature" hervorhebt. Vor drei Jahrzehnten habe er die Idee zum Projekt gehabt und es gegen viel Skepsis vorangetrieben. Seine Arbeit an der Digitalkamera-Technologie des Teleskops sei entscheidend gewesen. Im Juni waren erste spektakuläre Bilder des Observatorium vorgestellt worden, das über die größte je gebaute Digitalkamera mit einer Auflösung von 3.200 Megapixeln verfügt. "Es besteht eine große Chance, dass wir etwas entdecken, das uns umhauen wird", wird Tyson zitiert - der auch mit 85 Jahren nicht daran denke, kürzerzutreten.
Sarah Tabrizi - prägende Forscherin für Huntington-Therapien
Die Neurologin Sarah Tabrizi vom University College London ist Teil eines Teams, das eine Therapie entwickelt hat, die das Fortschreiten der tödlichen Erbkrankheit Huntington verlangsamt. Das Medikament AMT-130 werde von vielen als vielversprechendster Fortschritt in der Huntington-Therapie gefeiert, heißt es in "Nature". Auch an der Entwicklung weiterer Ansätze sei Tabrizi beteiligt. "Egal, welche krankheitsmodifizierende Therapie es bei Chorea Huntington gibt – sie hat ihre Finger im Spiel", wird ein Forscherkollege zitiert. Tabrizi selbst sagt: "Das ist alles Teil eines großen Plans: Ich möchte sehen, ob wir verhindern können, dass die Huntington-Krankheit jemals auftritt."
Luciano Moreira - der Mücken-Fabrikant
Der brasilianische Agrarforscher Luciano Moreira eröffnete "Nature" zufolge an der Oswaldo Cruz Foundation in Belo Horizonte die erste Fabrik, in der mit dem Bakterium Wolbachia infizierte Mücken gezüchtet werden. Die Freisetzung von Millionen Gelbfiebermücken, die eine eingeschränkte Fähigkeit zur Verbreitung von Krankheitserregern haben, soll die tödliche Viruserkrankung Dengue bekämpfen. Moreira sei es gelungen, die Wirksamkeit des Ansatzes zu belegen, zudem habe er politische Entscheidungsträger davon überzeugt, ihn umzusetzen. Die Dengue-Fälle in der Großstadt Niterói seien seit der Einführung der Mücken um 89 Prozent zurückgegangen.
Liang Wenfeng - der Tech-Disruptor
Der chinesische Finanzexperte Liang Wenfeng gründete das KI-Startup DeepSeek und veröffentlichte im Januar ein Open-Source-Sprachmodell, das mit einigen der besten bestehenden Modelle mithalten kann, aber mit einem Bruchteil der Ressourcen entwickelt wurde. Damit habe er die noch junge Welt der künstlichen Intelligenz erschüttert, heißt es in "Nature". Das Modell sei als "Open Weight" veröffentlicht worden, was bedeute, dass es kostenlos heruntergeladen und weiterentwickelt werden kann - "was für Wissenschaftler ein Segen ist". "Liangs Modelle sind so offen, wie er selbst geheimnisvoll ist", heißt es vom "Nature"-Team. Anstatt seine Popularität für kommerziellen Erfolg auszunutzen, widme sich DeepSeek weiterhin der Lösung schwieriger grundlegender Probleme in der KI-Forschung, wird ein Experte zitiert. Zudem sei DeepSeek ein Symbol für den Wandel chinesischer Forscher von Meister-Imitatoren zu echten Innovatoren.
Mengran Du - Tieftaucherin in neue Welten
Die Geowissenschaftlerin Mengran Du von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Sanya war an Bord des nur 1,8 Meter langen Tauchboots "Fendouzhe", das neun Kilometer unter der Meeresoberfläche Einblicke in ein Ökosystem voller seltsamer Lebewesen ermöglichte. "Der beste Weg, das Unbekannte kennenzulernen, ist, dorthin zu gehen", wird sie in "Nature" zitiert. Das im Kamtschatka-Graben nordöstlich von Japan entdeckte Ökosystem nutze eine ungewöhnliche Energiequelle: Methan, Schwefelwasserstoff und anderen Verbindungen, die in Flüssigkeiten gelöst sind, die vom Meeresboden aufsteigen. "Fendouzhe" sei eine Art Zeitmaschine, die "einen zu verschiedenen Türen führen kann, die einen in eine völlig neue Welt leiten", meint Du.
Yifat Merbl - Detektivin im Immunsystem
Die israelische Systembiologin Yifat Merbl vom Weizmann Institute of Science in Rehovot entdeckte eine neue Facette des menschlichen Immunsystems, die sich im Zellmüll verbirgt, wie es in "Nature" heißt. Sie fand demnach heraus, dass sogenannte Proteasomen unter bestimmten Umständen Proteine zersetzen, um antimikrobielle Peptide zu bilden, die bei der Bekämpfung von Infektionen helfen.
Trost in einem schwierigen Jahr
"In einem für die Wissenschaft weltweit schwierigen Jahr war es ein Trost, die erstaunlichen Entdeckungen und inspirierenden Arbeiten so vieler Forscher zu sehen, von denen nur zwei Handvoll auf unserer Liste gelandet sind", sagte Brendan Maher von der "Nature"-Redaktion zu den "Nature’s 10". "Die diesjährige Liste würdigt die Erforschung neuer Grenzen, das Versprechen bahnbrechender medizinischer Fortschritte, das unerschütterliche Engagement für die Wahrung der wissenschaftlichen Integrität und diejenigen, die globale Richtlinien gestalten, die Leben retten."
"Nature's 10" sei keine Auszeichnung oder Top-Ten-Rangliste, betont das Fachjournal, sondern eine Liste, die wichtige Entwicklungen und Geschichten aus der Wissenschaft dieses Jahres vorstelle.