Am frühen Morgen des 21. August 1911 lugt Vincenzo Peruggia aus der Tür eines Wandschrankes im Pariser Louvre. Die Luft ist rein. Die ganze Nacht hat er im Schrank ausgeharrt. An jenem Montag ist das Museum beinahe menschenleer, denn die Säle sind gerade nur für Mitarbeiter geöffnet.
Vorsichtig schleicht sich der Italiener in den Salon Carré, dort hängt das Objekt seiner Begierde. Zwischen den meterhohen Renaissance-Gemälden von Tizian und Antonio da Correggio erscheint das 77 mal 53 Zentimeter messende Porträt einer Frau beinahe klein und unscheinbar: Die "Mona Lisa" von Leonardo da Vinci ist damals nur einer von vielen Kunstschätzen des Pariser Museums.
Behutsam löst Peruggia das Ölgemälde von der Wand, einen Alarm gibt es damals noch nicht. Der Glaser hatte vermutlich gerade erst den Rahmen der "Mona Lisa" angepasst. Der Italiener klemmt sich das Bild unter den Arm und geht zum nächsten Ausgang, immer wachsam, dass ihn niemand sieht. An einem Treppenabsatz nimmt er das auf Pappelholz gemalte Bild aus seinem Rahmen. Peruggia versteckt die kostbare Ware unter seiner Kleidung. Ohne dass es jemand bemerkt, verlässt der 29-Jährige an jenem Morgen so das Museumsgebäude. Damit ist ihm Unglaubliches gelungen. Der Raub der "Mona Lisa" wird als einer der spektakulärsten Kunstdiebstähle in die Geschichte eingehen.
Die üblichen Verdächtigen: Künstler und ein Kaiser
Mehr als 24 Stunden vergehen, bis ein Museumswärter die leere Stelle an der Wand entdeckt. Erst denkt er sich nichts dabei; zu dieser Zeit werden gerade viele Werke aus der Sammlung fotografiert. Doch als der Museumsfotograf, der Sammlungsleiter und auch der Direktor des Louvre nicht wissen, wo das Gemälde geblieben sein könnte, bricht Panik aus.
Wenig später durchsuchen Polizisten jeden Winkel des Museums. Auf dem Treppenabsatz finden sie den zurückgelassenen Rahmen, von da Vincis Werk fehlt jede Spur. Noch am Abend titeln die Zeitungen in der französischen Hauptstadt: "Skandal: Die "Mona Lisa" wurde gestohlen!" Bis zum nächsten Morgen geht die Nachricht um die Welt.
Die Polizei vermutet, der Dieb sei ein Kunstkenner. Die Beamten verhören die Mitarbeitenden des Museums, auch Peruggia. Doch die Ermittler verfolgen eine andere Spur: Unter Verdacht stehen für sie der aufsteigende andalusische Maler Pablo Picasso und der französische Schriftsteller Guillaume Apollinaire. Die Freunde mischen seit geraumer Zeit die Pariser Avantgarde-Szene auf: Als vermeintlicher Jungenstreich versuchen Picasso und Apollinaire gelegentlich Werke aus dem Louvre zu stibitzen – eine freundschaftliche Rivalität. Die Ermittler nehmen Picasso und Apollinaire fest, beide verbringen einige Tage in Haft. Als die Polizisten Picassos Wohnung durchsuchen, finden sie zwei kleine, iberische Skulpturen, die aus dem Louvre entwendet wurden – aber die "Mona Lisa" bleibt verschwunden.
Die Untersuchungen werden zur Staatsaffäre, der Museumsdirektor wird entlassen, die Fahndung ausgeweitet: Der amerikanische Tycoon und Kunstliebhaber J. P. Morgan wird bezichtigt, den Diebstahl in Auftrag gegeben zu haben. Kurzzeitig verdächtigen die Beamten sogar den deutschen Kaiser Wilhelm II., die Spannungen zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich sind, wenige Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, bereits spürbar.
Nach einer Woche öffnet der Louvre wieder seine Türen für Besuchende. Sie betrauern die leere Stelle im Salon Carré als "Zeichen der Schande". Sie legen Blumen nieder, als wäre ein geliebter Mensch verstorben. In den Kirchen von Paris finden Gedenkgottesdienste für "La Joconde" statt, so der französische Name des Bildnisses, es ist Teil des Nationalerbes.
Ein Lächeln, das seit Jahrhunderten bezaubert
Anfang des 16. Jahrhunderts hat der italienische Universalgelehrte Leonardo da Vinci das Porträt in Florenz gemalt. Vermutlich zur Geburt des zweiten Sohnes gibt der florentinische Seidenhändler Francesco del Giocondo ein Porträt seiner Frau Lisa in Auftrag – das ist eine Theorie unter Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern. Der Renaissancekünstler behält das Porträt – die Identität der abgebildeten Person ist bis heute umstritten.
1516 zieht da Vinci auf Einladung des französischen Königs Franz I. nach Frankreich, sein Werk nimmt er mit. Seitdem bezirzt der Gesichtsausdruck der Porträtierten die Herrschenden Frankreichs. Drei Jahre später stirbt da Vinci, woraufhin die französische Krone das Bild erwirbt und in ihre Sammlung aufnimmt.
Über Jahrhunderte hängt die Renaissance-Dame in verschiedenen Königsschlössern, schließlich holt der "Sonnenkönig" Louis XIV. das Gemälde nach Versailles. Mit der Französischen Revolution verstaatlicht die Nationalversammlung alle Schätze aus königlichem Besitz, darunter auch die "Mona Lisa". Bei seiner Eröffnung 1793 präsentiert das "Museum der Republik" in Paris 537 Werke. Nachdem sich Napoleon Bonaparte 1804 selbst zum Kaiser der Franzosen gekrönt hat, lässt er das Gemälde in seinem Schlafzimmer in den Tuilerien aufhängen. Nach Napoleons Sturz kehrt die "Mona Lisa" in den Louvre zurück und wird dort bis zu jenem Augusttag 1911 ausgestellt.
Wochenlang ziert die Verschwundene die Titelseiten der Tageszeitungen, vor allem in Europa. Ihr Verschwinden löst eine weltweite Medienhysterie aus; vorher ist das Gemälde als Meisterwerk bekannt, doch ihr Diebstahl macht die "Mona Lisa" weltberühmt. Da ihr Gesicht auf jeder Titelseite prangt, kennt mittlerweile jeder die "Mona Lisa". Doch nur einer weiß, wo sich das Porträt befindet.
Ein Schatz schlummert unter dem Bett
Da Vincis Werk liegt in einer spärlich möblierten Pariser Wohnung, nicht weit vom Louvre entfernt. Dort hält Peruggia es unter Verschluss. Eigentlich ist der Italiener der Pariser Polizei wegen anderer Diebstähle bereits seit Jahren bekannt. Peruggia hat das Porträt in einem Koffer mit doppeltem Boden unter seinem Bett versteckt, deshalb finden es die Beamten bei der Durchsuchung seiner Wohnung nicht. Die öffentlichen Ermittlungen machen es dem Dieb schwer, seine Beute weiterzuverkaufen. Mehr als zwei Jahre schlummert die "Mona Lisa" im Koffer unter Peruggias Bett.
Am 12. Dezember 1913 reist Peruggia mit dem Gemälde nach Italien. Er verstaut den Koffer in einem Hotelzimmer, dann besucht er den Kunsthändler Alfredo Geri. Peruggia will sein Diebesgut verkaufen. Doch bevor Geri sich auf den Handel einlässt, will er sich von der Echtheit des Werkes überzeugen, schließlich ist die "Mona Lisa" seit 28 Monaten verschollen. In seinem Hotelzimmer zeigt Peruggia ihm das Gemälde. Verblüfft stellt der Kunsthändler fest, dass er die echte "Mona Lisa" von Leonardo da Vinci in den Händen hält. Geri versucht, Zeit zu schinden, und gibt vor, erst den Kaufpreis von rund 500.000 Lire besorgen zu müssen. Er verständigt die Polizei. Die Beamten verhaften Peruggia und beschlagnahmen das Porträt. Weltweit verkünden die Zeitungen den Sensationsfund.
Einige Italiener fordern damals, dass "ihre Mona Lisa" im Land bleiben solle. Sie sehen die Tat ihres Landsmanns als patriotischen Akt: Peruggia habe Da Vincis Porträt in seine Heimat zurückbringen wollen. Deshalb erhält Peruggia auch eine verhältnismäßig milde Strafe. Er wird zu einem Jahr und 15 Tagen Haft verurteilt, wovon er lediglich sieben Monate absitzt.
Doch die Franzosen verlangen ihrerseits die "Mona Lisa". Schließlich erkennt die italienische Regierung an, sie an den Louvre zurückzugeben, da das Gemälde seinerzeit rechtmäßig in den französischen Besitz gelangt war.
Doch bevor das Ölgemälde nach Paris reist, wird es in Florenz, Rom und Mailand ausgestellt. Dann kehrt "La Joconde" zurück nach Frankreich. Am 4. Januar 1914 feiert der Louvre ihre Heimkehr. Bis heute gehört das Porträt dem französischen Staat und ist als nationales Kulturgut rechtlich unveräußerlich. Das Bild darf also nicht verkauft oder in Privatbesitz überführt werden. Experten schätzen den Wert der "Mona Lisa" auf bis zu eine Milliarde US-Dollar.
Ihr Diebstahl macht die Renaissance-Dame über Nacht berühmt, erst dadurch wurde sie das heute wohl bekannteste Kunstwerk der Welt.