Fruchtbarkeit Zähes Rennen: Wie Spermien ihren Schwimmstil der umgebenden Flüssigkeit anpassen

Flexible Freischwimmer: Je zäher die Flüssigkeit, durch sie schwimmen müssen, desto schneller schlagen Spermien mit ihren Geißeln
Flexible Freischwimmer: Je zäher die Flüssigkeit, durch sie schwimmen müssen, desto schneller schlagen Spermien mit ihren Geißeln
© picture alliance / Shotshop | Spectra
Auf dem Weg zur Eizelle durchqueren Samenzellen verschieden beschaffene Flüssigkeiten. Kurz vor dem Ziel schwimmen sie sogar gegen den Strom. Damit die Reise gelingt, verändern sie unterwegs ihren Schwimmstil, wie nun eine Studie zeigt. Die Erkenntnisse könnten bei der Behandlung von Unfruchtbarkeit helfen

Neben der Form und Anzahl ist auch die Beweglichkeit von Spermien wichtig für die Fruchtbarkeit des Mannes. Um das Wettrennen zur Eizelle zu gewinnen, müssen Samenzellen schnell und agil sein – und das unter widrigen Bedingungen.

Beim Geschlechtsverkehr wird verstärkt Schleim im Eileiter abgesondert. Er fließt Richtung Gebärmutter, um eindringende Krankheitserreger aus dem Fortpflanzungstrakt zu spülen. Spermien hingegen schwimmen entgegen der Fließrichtung zur Eizelle.

200 Bilder pro Sekunde dokumentierten Bullen-Spermien im Strömungskanal

Wie Konsistenz und Strömungsverhalten der Flüssigkeit die Bewegungen von Spermien beeinflussen, sei bislang nicht hinreichend untersucht, schreibt ein Team unter Leitung von Reza Nosrati von der australischen Monash University in Cell Reports Physical Science.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schufen eine Art Test-Arena für Spermien: ein Becken mit einer schleimartigen Flüssigkeit, deren Strömung und Viskosität (Zähigkeit) sie verändern konnten. Dann ließen die Forschenden einzelne Bullen-Spermien im Kanal schwimmen und nahmen sie mit Hochgeschwindigkeitsmikroskopen auf. Diese Mikroskope zeichnen 200 Bilder pro Sekunde auf und dokumentierten, wie die Spermien ihre Schwänzchen, Geißeln genannt, bewegten.

Die Geißeln schlugen am schnellsten, wenn die Eizelle nah schien

Die Forschenden stellten fest, dass die Bewegungen der Geißeln in erster Linie von der Viskosität der Flüssigkeit und weniger von deren Strömungsbedingungen beeinflusst werden. Je zäher die Flüssigkeit, umso größer waren die Auf- und Abwärtsbewegungen der Spermienschwänze, zumindest bei schwächerer Strömung. Bei stärkerer Strömung ließ der Geißelschlag hingegen nach. Am schnellsten schlugen die Geißeln bei jenen Strömungsbedingungen, unter denen sie auch im weiblichen Fortpflanzungstrakt gegen den Strom schwimmen müssen.

Wie die Forschungsgruppe schreibt, bewegten sich die Spermien durch Anpassung ihres Schwimmstils energieeffizienter. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen das Untersuchungsdesign nun in Folgestudien verfeinern, um langfristig Fruchtbarkeitsbehandlungen bei Menschen zu verbessern. "Indem wir die entsprechenden Bedingungen bei der Spermienselektion nachbilden, können wir möglicherweise Spermien identifizieren und isolieren, die unter ähnlichen Bedingungen wie im weiblichen Fortpflanzungstrakt ein optimales Schwimmverhalten zeigen", sagt Mitautorin Yazdan Parast.

Potenzial zur Behandlung von Unfruchtbarkeit haben auch die Ergebnisse einer deutschen Studie im Fachblatt Nature, die am Biochemiezentrum der Universität Heidelberg durchgeführt wurde und sich mit dem Aufbau von Spermienzellen befasst. Dieser Aufbau unterscheide sich von allen anderen Zelltypen, schreiben die Forschenden. Denn die einzige Aufgabe von Spermienzellen sei, die Eizelle zu finden und mit ihr zu verschmelzen.

Spermien erlangen ihre volle Beweglichkeit erst in der sogenannten Kapazitation, also bei der Reifung der Samenzellen. In dieser Phase kommt speziellen Proteinen, die sich in der Hülle des Spermiums befinden, eine besondere Bedeutung zu: den Membrantransportern. Diese sind etwa dafür verantwortlich, Nährstoffe in die Zelle hinein oder aus der Zelle heraus zu transportieren.

"Bei Spermien hat der Transport von bestimmten Ionen in die Zelle hinein eine Erhöhung der Eigenbeweglichkeit zur Folge", sagt Studienleiterin Cristina Paulino. "Daher sind die für den Transport verantwortlichen Proteine direkt verbunden mit der Fertilität eines Spermiums und damit mit der Fruchtbarkeit eines männlichen Lebewesens."

Die verschiedenen Bauteile der Proteine, die Substanzen durch die Zellmembran von Spermien transportieren, sind bekannt. Einem Heidelberger Forschungsteam gelang es, sie erstmals zusammenhängend zu beobachten
Die verschiedenen Bauteile der Proteine, die Substanzen durch die Zellmembran von Spermien transportieren, sind bekannt. Einem Heidelberger Forschungsteam gelang es, sie erstmals zusammenhängend zu beobachten
© Martin F. Peter

Anhand der Membrantransporter von Seeigeln, einem Modellsystem für die Forschung an Spermien, und mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie konnte die Forschungsgruppe nun den Aufbau eines wichtigen Membrantransporters für Spermien auf molekularer Ebene entschlüsseln. "Wir haben beobachtet, dass das entscheidende Protein wie ein Legospielzeug aus verschiedenen Baueinheiten aufgebaut ist. Diese Bauteile sind im Grunde von anderen Proteinen bekannt, wurden allerdings noch nie zusammenhängend beobachtet. Mithilfe dieser Informationen konnten wir zum ersten Mal den Mechanismus dieses Transporters entschlüsseln", sagt Mitautorin Valeria Kalienkova.

Das verbesserte Verständnis könnte dabei helfen, Substanzen zu entwickeln, die diesen Mechanismus beeinflussen können. Damit ließen sich die Funktionen der Proteine möglicherweise an- oder abschalten.

Inwieweit sich diese Erkenntnisse auch auf die Funktionsweise menschlicher Spermien übertragen lassen, müsse noch untersucht werden, sagen die Forschenden. Auf lange Sicht würden sie indes das Potenzial bergen, neue Wege sowohl bei der Verhütung als auch bei der Behandlung von Unfruchtbarkeit zu eröffnen.

Alice Lanzke