"Dalli Dalli" am 9.11.1978 Ein Bild und seine Geschichte: Der stille Protest des Hans Rosenthal

Hans Rosenthal steht auf einer Bühne
Auf der Mattscheibe: Hans Rosenthal moderiert "Dalli Dalli" am 9. November 1978 in einem dunklen Anzug. Es ist der 40. Jahrestag der Reichspogromnacht
© ZDF
1978 bat Hans Rosenthal das ZDF, "Dalli Dalli" zu verschieben – wegen des Gedenktags zur Reichspogromnacht am 9. November. Doch der Sender blieb stur. Das hatte Folgen

Der Hinweis ist dezent. "Das war heute am 9. November unsere 75. Sendung", sagt "Dalli Dalli"-Moderator Hans Rosenthal an ebenjenem Tag im Jahr 1978 in die Kamera, winkt noch kurz und verabschiedet sich lächelnd von den Zuschauerinnen und Zuschauern.

Das Datum sagt Rosenthal eigentlich nie an – und auch sonst ist einiges anders in dieser Sendung: Der Showmaster trägt einen schwarzen Anzug, dazu eine dunkle Krawatte mit schwarzen Streifen. Und in den Ratepausen lässt er nicht Schlagersänger auftreten, sondern eine Opernsängerin.

Schließlich ist dieser Tag kein Tag wie jeder andere: Am 9. November 1978 findet zum ersten Mal in der Bundesrepublik eine zentrale, öffentliche Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht statt, dem Auftakt zum Holocaust. Der Zentralrat der Juden hat Repräsentanten aus Politik und Gesellschaft in die Kölner Synagoge geladen, Bundeskanzler Helmut Schmidt spricht, das ZDF überträgt live. Nie zuvor ist landesweit mit Schweigemärschen, Ausstellungen, Vorträgen, TV-Dokus und Radiobeiträgen derart der Opfer der Reichspogromnacht gedacht worden wie 1978. Der Gedenktag war "nicht zu überlesen, nicht zu überhören, nicht zu übersehen", urteilt das Magazin "FUNK-Korrespondenz".

Rosenthal überlebte den Holocaust versteckt in einer Kleingartenkolonie

Auch Hans Rosenthal, der beliebteste Quizmaster der Bundesrepublik, wollte an jenem Tag gedenken. 1925 als Sohn einer jüdischen Familie geboren, hatte er als Kind Antisemitismus, Ausgrenzung und Verfolgung im Nationalsozialismus miterlebt. Während sein Bruder deportiert und ermordet wurde, überlebte er den Holocaust versteckt in einer Berliner Kleingartenkolonie. Nach dem Krieg engagierte er sich bei der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, wurde stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden.

Ausgerechnet am Gedenktag des 9. November die spaßige Spielshow "Dalli Dalli" zu moderieren hielt er für wenig angemessen. Deshalb drängte er beim ZDF darauf, so erklärte er später, den Sendetermin zu verschieben – allerdings vergeblich. Rosenthal sei zu empfindlich, entgegnete man ihm in Mainz. "Dalli Dalli" lief nun mal donnerstags, auch wenn dieser auf den 9. November fiel.

So unterhielt Rosenthal seine Zuschauerinnen und Zuschauer in fast gewohnter Weise. Ein Nachspiel hatte die Sendung trotzdem, wie die Historikerin Anne Giebel in ihrem Fachaufsatz "Der 9. November 1978 und das Recht auf Unterhaltung" beschreibt. In jenen Novembertagen fand in Dortmund eine Jugend- und Kulturtagung des Zentralrats statt. 

Teilnehmer verfassten eine Protestnote und bezeichneten es als "Geschmacklosigkeit", am Abend des Gedenktags "ausgerechnet die Unterhaltungssendung Dalli Dalli auszustrahlen". Besonders betroffen waren sie darüber, dass diese Show "ausgerechnet ein jüdischer Repräsentant" moderiert hatte. 

Das ZDF argumentierte, die Zuschauer hätten ein Recht auf Unterhaltung

Schließlich schaltete sich der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin ein und kritisierte in einem Schreiben an ARD und ZDF "unverbindliche reine Unterhaltungssendungen im Abendprogramm". Der 9. November 1938 sei ein Datum, "das jeden zum Nachdenken herausfordert", befand der Vorsitzende. Die ZDF-Zuschauerredaktion verteidigte sich: Fernsehzuschauer hätten auch an diesem Tag ein Recht darauf, unterhalten zu werden.

Rosenthal moderierte bis kurz vor seinem Tod 1987 noch 83 weitere Ausgaben "Dalli Dalli" – allerdings nie wieder an einem 9. November.