Vor einem Jahr nannte Jens Aberle, der Präsident der Adipositas-Gesellschaft, die Abnehmspritze einen "Gamechanger" für Übergewichtige. Nebenwirkungen gebe es, aber diese seien "verhältnismäßig überschaubar".
Wenig später wurde bekannt, dass Aberle von der Pharmafirma Novo Nordisk offenbar Geld für Vorträge und Beratung erhalten hat. Die Adipositas-Gesellschaft erhielt im Jahr 2022 145.000 Euro "Spenden" von Novo Nordisk. Der Konzern stellt die Abnehmspritzen Wegovy und Ozempic in Dänemark her – und ist mit einem Börsenwert von 337 Milliarden Euro mittlerweile die wertvollste Firma in ganz Europa.
Auch, wenn Aberle vom Pharmakonzern offenbar Geld erhielt: Für viele Übergewichtige, welche seit Jahren verzweifelt versuchen abzunehmen, sind die Abnehmspritzen mit dem Wirkstoff Semaglutid tatsächlich ein "Gamechanger". Weil sie funktionieren, und auch Menschen mit Adipositas abnehmen, bei denen bislang jede Diät versagt hat. In Rahmen einer Studie hatten knapp 2000 erwachsene Teilnehmer*innen mit der Spritze innerhalb eines Jahres durchschnittlich 10 bis 15 Prozent ihres Körpergewichts verloren. Der Grund: Wer die Spritze nimmt, ist schneller satt.
Schlank mit der Abnehmspritze: Nah am Schönheitsideal
Die Abnehmspritzen sind auf der ganzen Welt deswegen so beliebt, weil sie das Schönheitsideal eines schlanken Körpers wahrmachen können. Und das, ohne zu hungern. Viele bekannte Persönlichkeiten wie Tech-Gigant Elon Musk oder Sänger Robbie Williams geben offen zu, mit der Abnehmspritze Gewicht verloren zu haben. Dazu muss man betonen, dass beide zuvor nicht stark übergewichtig waren – und das Medikament nicht wirklich gebraucht hätten.
Anders steht es da um Menschen mit Adipositas. Wenn stark übergewichtige Menschen abnehmen, profitiert vor allem ihre Gesundheit. Übergewicht gilt als Risikofaktor für die Entstehung verschiedener Erkrankungen, darunter auch Krebs. Bereits eine Gewichtsabnahme von fünf Prozent kann gesundheitliche Vorteile mit sich bringen.
Angebliche Nebenwirkungen bei Ozempic oder Wegovy: Magenlähmung, Zahnausfall
Das klingt soweit alles durchweg positiv. Wären da nicht die Berichte von Betroffenen, die über schwere Nebenwirkungen bei Ozempic oder Wegovy berichten. Wie mehrere Medien melden, haben in den USA dutzende Ozempic-Nutzer*innen jetzt offenbar eine Sammelklage gegen Novo Nordisk eingereicht. Der Grund: Nach der Einnahme von Ozempic oder Wegovy soll sich bei einigen eine Magenlähmung eingestellt haben. Die sogenannte Gastroparese kann lebensgefährlich sein. Die Betroffenen berichten auch von chronischem Durchfall und Zahnausfall. Vor der Einnahme seien sie außerdem nicht ausreichend über die Risiken der Abnehmspritzen aufgeklärt worden, beklagen sie.
Bei Bundesgerichten in ganz Amerika wurden mittlerweile 40 solcher Klagen eingereicht. Anwälte sollen zudem Tausende weitere potenzielle Fälle prüfen. Ein einzelner Richter soll sie zentral verhandeln.
Grundsätzlich muss man bei der Bewertung von Klagen in den USA vorsichtig sein. Denn die Gesetzeslage nutzen einige Menschen, um von Großkonzernen Schadensersatz in Millionenhöhe wegen vermeintlicher schwerer Schädigungen zu erhalten. Dennoch sollte man die Klagen der Betroffenen ernst nehmen. Denn die Berichte über Nebenwirkungen sind keine Einzelfälle.
Keine Langzeitstudien zu Nebenwirkungen
Ozempic ist als Antidiabetikum mit dem Wirkstoff Semaglutid bereits seit 2018 in Deutschland auf dem Markt. Es ist hierzulande nur für Diabetiker (Typ 2) zugelassen und wird für diese auch von den Gesetzlichen Krankenkassen bezahlt – anders als Wegovy, welches man seit Juli 2023 in Deutschland kaufen kann. Es ist auch in geringeren Dosen an Semaglutid verfügbar und gilt als Abnehmpräparat und Lifestyle-Arzneimittel. Doch da Wegovy neu auf dem Markt ist, gibt es keine Langzeitstudien über mögliche langfristige Folgen und Nebenwirkungen.
Menschen, die nicht übergewichtig sind und nur aus Schönheitsgründen abnehmen wollen, sollten das Medikament besser nicht nehmen. Nicht nur, um Menschen mit Adipositas den Vortritt zu lassen, die das Medikament wirklich brauchen (es gibt wegen der hohen Nachfrage häufig Lieferschwierigkeiten). Sondern auch, um ihre Gesundheit nicht zu gefährden. "Wir wissen schließlich gar nicht, was diese Medikamente mit ihrem Körper anstellen, wenn Sie diese Krankheit gar nicht haben", zitiert die Tagesschau den Adipositas-Experten Andres Acosta von der Mayo Clinic in Minnesota.
Laut Acosta zählen zu den häufigten Nebenwirkungen: Übelkeit und Erbrechen, Verstopfung und Durchfall. Seltener seien Bauchspeicheldrüsenentzündungen. Laut der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA erhöhe Ozempic auch das Risiko von Schilddrüsenkrebs. Immerhin konnte mit einer Studie belegt werden, dass die Abnehmpräparate nicht mehr als andere das Risiko erhöhen, suizidale Gedanken zu entwickeln. Positiv hervorzuheben ist, dass die Spritze einer aktuellen Studie zufolge auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringert.
Welche gesundheitlichen Risiken Ozempic und Wegovy tatsächlich haben, werden Langzeitstudien zeigen müssen.