Mühsam hievte ich mich aus meinem Bett. Ich wurde langsam munter. Draußen war es schon hell. Schwerfällig stapfte ich in die Küche meines alten Hauses. Wie spät war es eigentlich? Ich blickte angestrengt zu der Uhr hinüber. Doch ich sah die Zahlen nur verschwommen. Mist, ich hatte vergessen, meine Brillen aufzusetzen. Meine schwachen Augen durchsuchten die Küche. Und sie wurden fündig. Dort, neben meinem Milchglas von gestern stand ein schwarzes kleines Objekt. Das musste die Brille sein. Hastig griff ich nach ihr. Doch aus Versehen stieß ich dabei das Milchglas um und das Glas zersprang auf dem Küchenboden. Ich seufzte. Erst jetzt bemerkte ich, dass das Objekt keine Brille, sondern eine Kuchengabel war!
Als ich endlich meine Brille fand (sie lag übrigens im Kühlschrank...), blickte ich endlich auf die Uhr. Es war schon halb elf. Fröhlich wankte ich zum Kühlschrank, um mir ein Frühstück zu machen. Ich seufzte. Der Kühlschrank war leer. Nichts Brauchbares war drinnen. Also machte ich mich auf den Weg, Brötchen vom Bäcker zu kaufen.
Etwas später kam ich dann voll gepackt mit Einkaufstaschen nach Hause. Da stutzte ich. Wo waren meine Schlüssel nur? Ich durchwühlte meine Handtasche. Doch nirgendwo waren die Schlüssel. Ich verdrehte die Augen. Jetzt wusste ich es: Ich hatte aus Versehen die Schlüssel stecken gelassen! So ein Mist! Ich überlegte. Es war mir sehr peinlich, dass ich nicht in mein eigenes Haus kam! Ständig vergaß ich meine Schlüssel irgendwo. Früher passierte mir so was nie! Schließlich ging ich zu meinem Nachbar (der liebe Herr Karl) und bat ihn, das Telefon benutzen zu dürfen. Er willigte freundlich ein (er kannte meine Missgeschicke schon lange...). Ich rief den Schlüsseldienst.
Ausgesperrt
Doch leider verspätete sich der Vertreter vom Schlüsseldienst deutlich. Gelangweilt ging ich mit meiner Einkaufstasche auf und ab. Erst um halb zwölf erschien der Herr von Notdienst. Mein Magen knurrte schon. Ich hatte ja noch kein Frühstück heute. Als er endlich die Tür aufgesperrt hatte und ich mich bei ihm sicher hunderttausendmal bedankt hatte, aß ich endlich mein ersehntes spätes Frühstück (oder besser gesagt: frühes Mittagessen).
Mit meinen 70 Jahren vergisst man ja leicht etwas. Doch manche Sachen entfallen einer Person bestimmt nicht so leicht - wie zum Beispiel einen Besuch! Meine Enkeln, Johanna und Leon, wollten heute zu Besuch kommen. Das wollte ich natürlich auf jeden Fall nicht vergessen. Hastig ging ich in das Wohnzimmer und zupfte das Sofa zurecht. Es muss doch schließlich schön aussehen! Dann ging ich in die Küche und ging auf und ab. Auf und ab. Und das sehr lange. Als mir nach einer Weile meine Füße wehtaten und ich Seitenstechen bekam, läutete es an der Tür. Das mussten Johanna und Leon sein!
Vier Briefe, ein Geburtstag
Nein, es war nur der Postbote. Er brachte mir vier Briefe. Interessiert öffnete ich sie. Der erste war von meiner Tochter, Luisa. Sie schrieb mir folgenden Brief:
Liebe Mama!
Ich wünsche dir alles Gute zum Geburtstag! Entschuldigung, dass ich dich nicht direkt zu deinem Geburtstag besuchen kann. Ich werde an einem anderen Tag bei dir vorbei schauen.
Alles Liebe,
Luisa.
Ich schlug mir mit der Hand auf den Kopf. Ach herrje, ich hatte ja heute Geburtstag! Dass man so etwas vergessen kann! Himmel, so etwas Dummes von mir! Der andere Brief lautete:
Liebe Frau Franziska!
Wir, das Seniorenheim "Seelige Ruhe" machen Ihnen ein einmaliges Angebot.......
Weiter lesen brauchte ich nicht. Die ewige Leier!
Überraschender Besuch
„Ja, ja. Ich weiß. Aber wer will schon in ein Seniorenheim?“, sagte ich laut vor mich hin. „Also wirklich, ich bin doch erst 70!!! Nur weil ich nicht Schwimmen, Unterrichten, Fußball spielen, Tennis....... kann, soll ich ins Seniorenheim?“ Fast alle meine Bekannten, die noch leben, sind im Altersheim. Wie kann man nur so langweilig sein? Solange ich noch lebe, lebe ich und denke nicht ständig an den Tod. Ja, es sind schon viele Freunde gestorben, andere sind sehr krank... aber sich nur ständig Gedanken über schlechte Sachen zu machen? Nein, nicht mit mir! Ich bin eine stolze Witwe sein fast 10 Jahren schon!
Plötzlich läutete es an der Tür. Die zwei Kinder, Johanna und Leon, standen glücklich vor meiner Tür. „Hallo Oma!“, grüßten sie mich herzlich. „Wir wollen dir einen Brief bringen.“, meinte Johanna. „Warum einen Brief? Ihr bleibt doch heute bei mir für drei Stunden!“, fragte ich erstaunt. „Ach, Oma! Wir kommen doch erst in einem Monat für mehrere Stunden zu dir! Hast du das denn vergessen?“, fragte Leon lächelnd. Ich nickte. Ich hatte es vergessen. Leider. „Öffne doch den Brief!“, forderten sie mich auf. Ich öffnete ihn mit meinen alten Fingern. Eine nett verzierte Karte kam zum Vorschein.
Liebe Oma!
Wir wünschen dir alles, alles Gute zu deinem 70. Geburtstag! Die ganze Familie wünscht dir einen tollen Geburtstag! Du kannst uns immer besuchen, wenn du dich alleine fühlst.
Einen tollen Geburtstag wünschen:
Leon, Johanna, Herbert und Luisa
Ein ganz besonderer Termin
Ich bedankte mich ungefähr hundertmal (wie es sich für eine Oma gehört)und stellte die Karte auf meinen Esstisch. Als Verzierung.
Da meinte plötzlich Johanna zu mir: „Wir sind noch nicht fertig! Wir haben ja noch ein Geschenk!“ Ich wurde nervös. Warum lächelte Johanna so hämisch? Sie holte etwas hinter ihren Rücken hervor. Es war eine Art Buch. „Das ist ein Terminbuch. Darin schreibst du von jetzt an alle deine Termine hinein.“, meinte Leon. Ich lächelte. Lustige Idee. Wie wenn ich mir keine Termine merken könnte... „Außerdem habe ich dir schon etwas in das Buch hinein geschrieben, was mein Geburtstagswunsch zu meinem 18. nächste Woche ist. Du weißt ja. Wir treffen uns alle in der Ferienwohnung von Mama und Papa in Sankt Gilgen. Alle werden da sein. Denn wir feiern deinen und meinen Geburtstag ganz groß gemeinsam. Dein lieber Nachbar, der Herr Karl, fährt dich ja - wie schon seit langem ausgemacht - zu unserem Familien-Treffen in Sankt Gilgen! Du hast mir ja versprochen, dass ich mir zu meinem 18. Geburtstag etwas Tolles wünschen darf...!“
Wovon redete Johanna? Irgendwie hatte ich plötzlich Bauchweh. Was konnte das nur sein, was ich um Himmels Willen versprochen habe? Ich blickte schnell in das Terminbuch. Und was stand darin?
PARAGLEITER-TANDEMSPRUNG MIT OMA
Wenn man 70 ist...
Ich schluckte. Was für ein Wunsch! Und das Datum war der Tag, den ich mir merken hätte sollen: Nächstes Monat, an dem ich dachte, meine Enkeln kommen auf Besuch für viele Stunden... „Warum hast du den Termin eigentlich vergessen, Oma?", fragte Leon, der erst zehn war. „So ist das halt, wenn man 70 ist!“, antwortete ich nun verlegen.
PS: Der Sprung war nicht schlecht, aber ich denke, ich hätte meine Brillen mitnehmen sollen! Ach ja, die liegen ja im Kühlschrank......