Es gibt kaum etwas Besseres als einen Spaziergang durch den Wald – frühmorgens, wenn der Tau noch auf den Farnblättern und Blüten liegt. Immer mehr Studien zeigen, dass das tiefe Grün, die Düfte und der Vogelgesang eine beruhigende, stressabbauende Wirkung auf uns Menschen haben. Was wir dabei leicht vergessen: Der Wald, der immerhin ein Drittel Deutschlands bedeckt, steht selbst unter Dauerstress.
Die Anzeichen dafür sind für Laien kaum zu erkennen. Und sie sind regional sehr unterschiedlich. Darum nehmen Mitarbeitende des bundeseigenen Thünen-Instituts jedes Jahr Stichproben und rechnen sie auf die ganze deutsche Waldfläche hoch. Ein besonders aussagekräftiger Indikator für die Gesundheit des Waldes und der einzelnen Baumarten ist dabei der Zustand der Baumkrone: Je schütterer sie belaubt ist, desto schlechter geht es dem Baum.
Die Ergebnisse der Waldzustandserhebung waren besonders in den Dürrejahren zwischen 2018 und 2020 besorgniserregend. Und auch 2024 können die Expertinnen und Experten keine Entwarnung geben.
Warum es der Fichte fast überall schlecht geht
Als Sorgenkind Nummer eins sticht die Fichte hervor. Ein Baum, der natürlicherweise in Höhen oberhalb von etwa 700 Metern vorkommt – wegen seines schnellen Wachstums aber fast überall in deutschen Wirtschaftswäldern gepflanzt wurde. Auch in der norddeutschen Tiefebene. Der "Brotbaum", wie Waldbesitzende Picea abies nennen, kämpft seit Jahren mit langanhaltender Trockenheit. Und geschwächte Bäume fallen dem Fichten-Borkenkäfer zum Opfer. In manchen Regionen, etwa im Nationalpark Harz, bieten abgestorbene Fichten-Monokulturen einen traurigen Anblick.
Aber auch den Eichen geht es nicht gut. Waren es im Jahr 2023 noch etwas mehr als ein Viertel der Bäume, die eine "mittelstarke Kronenverlichtung" aufwiesen, waren es im folgenden Jahr schon fast 30 Prozent. Über die Hälfte aller Bäume weist demnach sogar "deutliche" Kronenverlichtungen auf.
Vier von fünf Bäumen sind krank
Nur jeder fünfte Baum, so das Resümee des Berichts, hat keine erkennbaren Kronenschäden. Besonders betroffen sind ältere Bäume – also genau diejenigen Pflanzen, die besonders effektiv Kohlenstoff in ihrem Holz speichern.
Gesunde Wälder sind nicht nur wichtig für die Erholung der Menschen. Sie schützen vor Bodenerosion, kühlen die Luft, speichern Wasser, bieten zahllosen Organismen eine Heimat. Und sie entziehen der Atmosphäre CO2, das wichtigste Treibhausgas, und binden es langfristig im Holz. In jeder Tonne trockenen Holzes sind etwa 500 Kilogramm Kohlenstoff enthalten. Je länger dieses Holz in alten Bäumen und im Totholz – oder auch als Bauholz – der Atmosphäre entzogen bleibt, desto besser für das Klima.
Die deutschen Wälder sind also – neben den Mooren – unsere wichtigsten Verbündeten bei unseren Bemühungen, die CO2-Emissionen zu senken. Das Problem: Die Wälder sind durch Trockenheit und Krankheiten schon so geschwächt, dass sie seit 2017 unter dem Strich mehr CO2 abgeben, als sie im gleichen Zeitraum durch Holzwachstum binden können. Eine intensive Nutzung des Waldes, der Holzhunger von Bau-, Möbel- und Papierindustrie tun ein Übriges.
Was nun passieren muss
Höchste Zeit also, dem Wald zu helfen. Eine Idee: den Wald machen lassen. Mit der Zeit, so die Erfahrung von nachhaltig arbeitenden Forstleuten, stellen sich im Wald von allein diejenigen Baumarten ein, die an den jeweiligen Standort angepasst sind. Naturverjüngung nennen das Fachleute. Auf diese Weise soll auch im Harz wieder ein lebendiger Wald entstehen, wo heute noch abgestorbene Fichtenstämme das Bild prägen. Doch das funktioniert nicht auf allen Standorten, dauert Jahrzehnte – und schmälert den Holzertrag. Darum wird der Waldumbau hin zu naturnahen Mischwäldern vielerorts aktiv vorangetrieben, meist indem heimische Baumarten nachgepflanzt werden, die mit Hitze und Trockenheit besser zurechtkommen. Bund und Länder unterstützen die Waldbesitzenden dabei finanziell, etwa im Rahmen des "Aktionsprogramms Natürlicher Klimaschutz" oder des Förderprogramms "Klimaangepasstes Waldmanagement". Allein zwischen 2020 und 2023 standen für Wiederaufforstungen und Waldumbau fast 870 Millionen Euro zur Verfügung.
Doch der Weg ist noch weit. "Unsere Wälder befinden sich im Dauerstress, geschwächt durch Klimakrise, Dürre, Schädlingsbefall und jahrzehntelange Fehler in der Forstwirtschaft", kommentierte Nabu-Waldexperte Sven Selbert die Ergebnisse des aktuellen Waldzustandsberichts. Es sei höchste Zeit, jetzt die richtigen Weichen zu stellen, um das Ökosystem Wald und seine vielfältigen Funktionen für Mensch, Klima und Artenvielfalt zu erhalten. Die Greenpeace-Waldexpertin Dorothea Epperlein forderte gar einen sofortigen Einschlagstopp in den deutschen Laubwäldern.
Was wir alle tun können
Während also Politik und Waldbesitzende noch gefordert sind, den Patienten Wald für eine immer wärmere Zukunft fit zu machen, können wir alle schon heute einen – kleinen – Teil dazu beitragen: Indem wir Papier sparen, Recyclingpapier benutzen, auf Zertifikate wie PEFC oder – besser – FSC achten, im Wald wegen der Waldbrandgefahr im Sommer nicht rauchen oder Feuer machen.
Und indem wir Organisationen und Initiativen unterstützen, die sich für den Wald stark machen oder Bäume pflanzen. In Südamerika und Südostasien sind es vor allem der Sojaanbau und die Palmölproduktion, für die Wälder geopfert werden. Darum schützt den Wald auch, wer weniger Fleisch isst und Alternativen zu Palmöl wählt.
Klar ist: Nur wenn wir den deutschen Wald in der Fläche schützen und schonen, kann er auch in Zukunft ein Hort der Artenvielfalt und ein Verbündeter im Kampf gegen den Klimawandel sein. Und ein Ort, an dem wir Stille und Erholung finden.