Paläontologie Körper wie ein Bumerang: Bizarrer Urzeitfisch lässt Wissenschaft rätseln

Fossiler Urzeitlfisch
So könnte “Pegasusvolans einst ausgesehen haben, als er auf der Jagd nach Plankton durchs Meer schwamm. Sein Aussehen wurde anhand seines fossilen Skeletts digital rekonstruiert
© Digital painting by Margaux Boetsch
Vor 50 Millionen Jahren schwimmt ein seltsamer Fisch durchs Meer, der keinem anderen bekannten Tier gleicht. Bis heute rätselt die Wissenschaft: Wer ist der Fisch mit dem schlanken, gekrümmten Körper? Mit einer neuen Analyse wollen Paläontologen die bisherige Forschung widerlegen und fordern: Der Fisch braucht einen neuen Namen

Sein Körper ist gebogen wie ein Bumerang. Die langen, dünnen Flossen an After und Rücken lassen den Fisch zerbrechlich wirken, trotz der winzigen Stacheln, die aus seiner Haut ragen. So schmal und fragil ist der Fisch, dass die Eingeweide keinen Platz im Inneren zu finden scheinen und in einem Außendarm unter dem Körper baumeln. Keine Frage: "Pegasus" volans, der vor mehr als 50 Millionen Jahren dort durchs Meer schwamm, wo heute Norditalien liegt, ist ein außergewöhnlicher Fisch. So außergewöhnlich, dass die Wissenschaft bis heute rätselt, wer oder was er eigentlich ist – und wer seine Verwandten im Tierreich sind.

Zwei Forscher des Pariser Naturkundemuseums und der Universität Turin haben fossile Funde des nur sechs Zentimeter großen Urzeitfisches nun genauer untersucht und die Ergebnisse ihrer Analyse auf bioRxiv, einem Preprint-Server für Biowissenschaften, veröffentlicht. Sie sind sicher: Die Wissenschaft tappte bislang völlig im Dunkeln, alle bisherigen Versuche, den Fisch einer Tiergattung zuzuordnen, waren nach Ansicht der Forscher falsch. "Wir wissen, was er nicht ist", sagt der an der Studie beteiligte Paläontologe Donald Davesne gegenüber "Science News". "Aber wir wissen nicht, was er sein könnte."

Dass die Wissenschaft kaum etwas über den urzeitlichen Meeresbewohner weiß, liegt auch daran, dass es kaum Fossilien von ihm gibt. Lediglich zwei versteinerte Exemplare von "Pegasus" volans wurden bisher gefunden – in der norditalienischen Ausgrabungsstätte Bolca, wo Fossilien aus dem früheren Eozän geborgen werden. Dieser vermutete ehemalige Biodiversitäts-Hotspot ist bekannt für die frühesten Vertreter einer riffassoziierten Flachwasserfauna. Doch die dort gefundenen versteinerten Fischskelette sind beschädigt: Bei beiden fehlt das Ende des Schwanzes. Dabei könnte gerade dieses einen Hinweis darauf geben, wo die Tiere im Stammbaum des Lebens einzuordnen sind.

Der Fisch erinnert an eine Larve – und ist doch knöchern

Versuche, den Fisch zu klassifizieren, gab es in den vergangenen Jahrhunderten trotzdem immer wieder. Bereits 1796 untersuchte der italienische Naturforscher Giovanni Serafino Volta das Fisch-Fossil und war überzeugt: Es handelt sich hier um eine Unterart der Seemotten (Pegasidae), die sich durch einen flachen, gepanzerten Körper und eine Schnauze auszeichnen. "Dabei haben die beiden nichts gemeinsam", sagt Davesne. "Ich weiß nicht, was sich dieser Typ gedacht hat." Später wurde der Fisch der Familie der Riemenfische (Regalecidae) zugeordnet, großen schlangenartigen Knochenfischen. Und anschließend deren Verwandten, den Glanzfischartigen (Lampriformes). Alles falsch, meinen Davesne und sein Co-Autor Giorgio Carnevale. 

Die gefundenen Fossile sind unvollständig: Ihnen fehlt die Schwanzflosse. Diese könnte wichtige Informationen über die Herkunft der Fische liefern
Die gefundenen Fossile sind unvollständig: Ihnen fehlt die Schwanzflosse. Diese könnte wichtige Informationen über die Herkunft der Fische liefern
© D. Davesne

Die Wissenschaftler untersuchten die versteinerten Fischskelette unter dem Stereomikroskop und mithilfe von Aufnahmen unter ultraviolettem Licht. Dabei stellten sie Ähnlichkeiten mit den Larven moderner Zwergaale und echter Knochenfische (Teleostei) fest – auch diese haben einen langen Rückenflossenstrahl, der über ihren Kopf hinausragt. Und: Auch bei den Teleostei-Larven hängen die Eingeweide in einem kleinen Beutel unter dem Körper der Tiere. 

Die versteinerten Körper von "Pegasus" volans sind mutmaßlich jedoch zu groß, um Larven zu sein, außerdem sind ihre Skelette vollständig verknöchert. Wegen der winzigen Stacheln, die senkrecht aus der Haut ragen, ordnen die Forscher die Fische eher den Barschverwandten (Percomorpha) zu. Doch wo genau, ist unklar. "Die einzigartige Kombination von Merkmalen, die "Pegasus" volans aufweist, macht es unmöglich, ihn einer bestimmten Untergruppe zuzuordnen", schreiben die Wissenschaftler.

Um diese Informationslücke zu schließen, braucht es vor allem eines: ein Fossil mit intakter Schwanzflosse. Bis es so weit ist, soll der Urzeitfisch schon einmal einen neuen Namen bekommen, fordern die Forscher – zur Gattung Pegasus, wie sein derzeitiger Name vermuten lässt, gehöre er schließlich zweifellos nicht. Mit der offiziellen Veröffentlichung der Studie soll der neue Name vorgestellt werden.