Inhaltsverzeichnis
GEO WISSEN: Herr Selig, in Ihre Sprechstunde kommen stark Übergewichtige, die schon lange versuchen, abzunehmen. Woran scheitert es bei den meisten?
Lars Selig: Viele Patienten klagen, dass ihr Leiden von anderen nicht immer richtig wahrgenommen wird. So zeigen Untersuchungen, dass Hausärzte mit ihnen im Schnitt weniger ausführlich als mit anderen Patienten sprechen, unter anderem auch deshalb, weil Mediziner mit Medikamenten letztlich nichts gegen Übergewicht ausrichten können. Viele Übergewichtige versuchen dann, in Eigeninitiative Gewicht zu verlieren – und wechseln von einer Diät zur nächsten. Das aber bringt nur den Stoffwechsel durcheinander und hilft meist beim langfristigen Abnehmen nicht.
Sind Formula-Diäten ein guter Weg, um Gewicht zu verlieren?
Wir empfehlen diese Produkte extrem übergewichtigen Patienten, die sich beispielsweise den Magen verkleinern lassen wollen; bei ihnen lässt sich so im Vorwege das Fett in der Leber reduzieren. Einen grundsätzlichen Vorteil haben die Formula-Diäten aber für alle Abnehmwilligen: Wer sie richtig anwendet, wird ganz sicher Gewicht verlieren. Denn der Diäthaltende kann exakt kontrollieren, welche Energiemenge er am Tag aufnimmt – das funktioniert mit normalen Lebensmitteln nie so präzise. Die Rezepturen helfen daher auch jenen Menschen, die binnen wenigen Wochen ein paar Kilo abnehmen wollen. Dagegen ist aus medizinischer Sicht nichts einzuwenden.
Wie nimmt man die Shakes am besten ein?
Wir empfehlen, eine Woche lang alle üblichen Mahlzeiten wegzulassen und sie durch Formula-Drinks zu ersetzen. Danach kann wieder eine Mahlzeit am Tag normal eingenommen werden – ausgewogen und gesund, am besten mit Hilfe eines Ernährungsberaters. Von der dritten Woche an ersetzt das Formula-Produkt nur noch eine Mahlzeit am Tag. Nach einigen Wochen Anwendung hat sich der Stoffwechsel dann so verlangsamt, dass vom Körper fortan deutlich weniger Fett abgebaut wird und das Gewicht nur noch langsam zurückgeht. Von diesem Zeitpunkt an sollte man dann wieder normal essen – also nach den Vorgabeneiner gesunden Ernährung.
Woran erkennen Diäthaltende diesen Zeitpunkt?
Daran, dass sie über einen längeren Zeitraum nicht mehr deutlich abnehmen. Sie sollten aber nicht zu früh mit der Diät aufhören: Ein Verlust von 500 Gramm Körpergewicht pro Woche ist völlig ausreichend. Vielen erscheint das zu wenig, weil sie anfangs stärker abgenommen haben. Zudem muss man bedenken: Wer sich viel bewegt, baut meist auch dann noch Körperfett ab, wenn sich dies auf der Waage kaum noch bemerkbar macht – denn nun baut sich Muskelmasse auf. Bei uns in der Klinik lässt sich das durch eine Bestimmung des Körperfettanteils im Rahmen einer bioelektrischen Impedanzanalyse nachweisen. Körperfettwaagen für zu Hause sind dagegen meist zu ungenau.
Wenn es bei üblichen Diäten mit der Gewichtsabnahme nicht so recht weitergeht, greifen manche Menschen zu Formula-Drinks. Gute Idee?
Das kann einen Versuch wert sein. Wir setzen das bei unseren Patienten gezielt als Motivationsschub ein. Aber man muss auch die Grenzen der Formula-Diäten kennen.
Welche sind das?
Der wichtigste Einwand: Der Erkenntnisgewinn über gesunde Ernährung sowie das eigene Verhalten ist bei Formula-Diäten gleich null. Viele Übergewichtige haben beispielsweise kein gesundes Sättigungsgefühl – und daran ändern die Drinks mit den vorgeschriebenen Portionsgrößen nichts – denn der Patient gibt seine Verantwortung ja komplett ab. Um aber nach einer Diät das niedrigere Gewicht halten zu können, muss er die Ursachen für sein Übergewicht erkennen – und sein Verhalten entsprechend ändern. So sollte er etwa wissen, wo überall in hochverarbeiteten Nahrungsmitteln Kalorien versteckt sind. Daher funktioniert eine Formula-Diät langfristig nur mit einem Ernährungsberater.
Wo finde ich den?
Der Begriff ist gesetzlich nicht geschützt – jeder kann sich nach einem Wochenendkurs so nennen, für sich allein garantiert er keine kompetente Beratung. Gut geschulte Fachkräfte haben eine Ausbildung als staatlich anerkannter Diätassistent, als Ernährungswissenschaftler oder Ökotrophologe.
Welche Formula-Diäten sind zu empfehlen?
Abnehmen können Sie mit allen. Sogenannte vollbilanzierte Rezepturen – also Pulver, die alle Nährstoffe enthalten, die der Körper braucht – schmecken aber meist nicht so gut. Die Industrie versucht, das mit Beigaben von Zucker oder Fett etwas schmackhafter zu machen. Doch das geschieht leider auf Kosten der Nährstoffe.
Diäthaltende sollten sich daher fragen, weshalb ein Drink gut schmeckt – und die Zusammensetzung des Shakes auf dem Etikett prüfen.

Worauf sollten Anwender einer Formula-Diät noch achten?
Sie sollten die Pulver nicht nach Lust und Laune heute einsetzen und morgen nicht, sondern sich schon ganz genau an die Diätpläne der Hersteller halten. Sonst bleibt der Erfolg mit Sicherheit aus.
Nicht wenige glauben zudem, es handele sich bei den Produkten um Abnehmmittel – und nehmen die Drinks einfach zusätzlich zum Essen ein; das ist natürlich kontraproduktiv.
Die Produkte sollten auch nicht abrupt abgesetzt werden, sondern allmählich, damit sich der Stoffwechsel schrittweise wieder auf normale Nahrung und höhere Energiemengen einstellen kann. Sonst kommt es schnell zur erneuten Gewichtszunahme.
Was kennzeichnet für Sie den Erfolg des Marktführers Almased?
Dem Hersteller gelingt es, die Kunden durch Werbung gut anzusprechen. Rund um das Produkt gibt es auch noch Planungshilfen, Rezepte und Magazinbeiträge – so suggeriert das Unternehmen, dass es sich mit der gesamten Lebenslage des Kunden beschäftigt.
Manche Menschen berichten von Heißhungerattacken, die sich nach etwa drei Wochen Formula-Diät einstellen und gegen die sie sich geradezu machtlos fühlen. Was ist die Ursache dafür?
Vermutlich handelt es sich dabei nicht um tatsächlichen Heißhunger, sondern um das Verlangen, wieder einmal etwas mit Genuss zu verspeisen. Denn zum Essen gehört nun einmal auch das Kauen und Schmecken sowie die Wahrnehmung der unterschiedlichen Texturen von Lebensmitteln, der Duft von frischem Obst oder geschmortem Gemüse. Und all das können die Formula-Drinks nun einmal nicht leisten. Nur bei den wenigsten Menschen sind es Blutzuckerschwankungen, die diesen Heißhunger auslösen.
Lässt sich etwas gegen diese Heißhungerattacken tun?
Gerade für sehr übergewichtige Menschen, die ihr Abnehmprogramm mit einer Formula-Diät starten, ist es sehr wichtig, herauszufinden, in welchen Situationen sie dieses Hungergefühl jeweils überkommt. Die gilt es möglichst zu meiden – etwa indem sie bei Werbung für Süßigkeiten im TV konsequent umschalten.