Langzeitstudie Eltern geben Empathiefähigkeit an ihre Kinder weiter

Großmutter, Tochter und Enkelin schauen sich gegenseitig voller Zuneigung an. Man sieht nur die Oberkörper
Nicht nur das Aussehen wird weitervererbt, sondern auch die Fähigkeit, mit anderen mitzufühlen. Inwiefern Gene oder das Miteinander dafür maßgeblicher sind, wird noch erforscht
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Empathische Eltern können das eigene Einfühlungsvermögen an ihre Kinder weitergeben – und diese wiederum an ihren späteren Nachwuchs. Das zeigt eine Langzeitstudie. Wichtig ist aber auch, dass die sozialen Fähigkeiten in einem bestimmten Alter mit Gleichaltrigen geübt werden

Die Fähigkeit zu Empathie kann von Eltern an ihre Kinder und von diesen wiederum an deren Nachwuchs weitergegeben werden. Das berichtet ein US-Forschungsteam nach einer Langzeitstudie über 25 Jahre im Fachjournal "Child Development". Demnach praktiziert der jeweilige Nachwuchs das Einfühlungsvermögen im Jugendalter bereits im Freundeskreis.

"Wenn wir empathische Kinder erziehen wollen, müssen wir ihnen direkte Erfahrungen damit geben, verstanden und unterstützt zu werden, und auch Gelegenheiten, diese Fähigkeiten mit Gleichaltrigen zu verfeinern", erklärte Erstautorin Jessica Stern von der University of Virginia. Die Adoleszenz ist eine sensible Phase für die Entwicklung des sozialen Gehirns, im häuslichen Umfeld erworbenen Modelle werden dann durch enge Beziehungen zu Gleichaltrigen verfeinert und ausgearbeitet, wie es in der Studie heißt.

Erlerntes Sozialverhalten setzt sich über Generationen fort

Das Team um die Psychologin hatte seit 1998 mehr als 180 Menschen vom Jugend- bis ins Erwachsenenalter begleitet. Dabei wurden die anfangs etwa 13-Jährigen zunächst beim Besprechen von Problemen mit ihren Müttern beobachtet. In den folgenden sieben Jahren erörterten die Jugendlichen im Rahmen der Studie jedes Jahr ein Problem mit Gleichaltrigen. Rund zehn Jahre später wurden sie dann zum Umgang mit ihren eigenen Kindern befragt. Bei den beobachteten Gesprächen achteten die Psychologen darauf, wie sehr die Teilnehmenden auf ihre jeweiligen Gegenüber eingingen und wie viel Unterstützung sie anboten.

"Wir fanden heraus, dass die Empathie der Mütter gegenüber den 13-Jährigen während der Folgejahre die Empathie der Jugendlichen im Umgang mit ihren engsten Freunden vorhersagte", fasste Stern die Resultate zusammen. "Und bei jenen Jugendlichen, die später selbst Kinder hatten, sagte die Fähigkeit zu empathischer Unterstützung ihrer engen Freunde ein unterstützenderes Elternverhalten vorher, was wiederum größere Empathie in der nächsten Generation vorhersagte."

Im Umgang mit Freunden wird das Einfühlungsvermögen verfeinert

Gerade die mit Gleichaltrigen verbrachte Zeit ist demnach für das Üben sozialer Fähigkeiten wie dem Einfühlungsvermögen wichtig. "Wir denken oft, dass unsere Eltern die Art unserer eigenen Elternschaft prägen", erläuterte Stern. "Aber es stellte sich heraus, dass unsere Jugendfreundschaften ebenfalls wichtig sind. Wir glauben, dass enge Freundschaften ein wichtiges "Trainingsgelände" dafür sind, soziale Fähigkeiten zu entwickeln und sich um andere auf eine reifere Art zu kümmern." 

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Im Gegensatz zur populären Annahme des egozentrischen oder "gefühllosen" Jugendlichen hätten die Durchschnittswerte für empathische Fürsorge über den Untersuchungszeitraum hinweg nicht abgenommen; vielmehr seien die Empathiewerte über die sieben Untersuchungszeitpunkte im Alter von 13 bis 19 Jahren hinweg leicht gestiegen. Enge Freundschaften von Jugendlichen böten eine einzigartige Gelegenheit, einfühlsame Fürsorge zu üben, bevor die anspruchsvollere Rolle der Elternschaft übernommen werde.

Lässt sich die Weitergabe von mangelnder Empathie durchbrechen?

Weitere Untersuchungen sollen nun unter anderem zeigen, wie sich der umgekehrte Kreislauf – also das Weitergeben von wenig empathischer Elternschaft – durchbrechen lässt. Möglicherweise könnten gute Erfahrungen mit empathischen Gleichaltrigen einen Anstoß geben zu mehr Einfühlungsvermögen, so Stern. 

"Man kann sich seine Familien nicht aussuchen, aber seine Freunde schon. Daher könnte das Befähigen von Jugendlichen, Freundschaften mit viel gegenseitigem Verständnis und Unterstützung zu wählen, Langzeiteffekte auf die nächste Generation haben."

Erforscht werden soll zudem die Rolle der Väter und anderer Bezugspersonen. Zu klären sei zudem, welchen Anteil genetische Faktoren bei der Weitergabe an Folgegenerationen spielen.

Von Walter Willems, dpa