Extremsport Dieser Mann rennt über alle Alpen-4000er – in nicht mal drei Wochen

Kilian Jornet läuft über Alpenwiese mit Bergmassiv Grand Combin im Hintergrund
Kilian Jornet konnte einfach nicht aufhören: Eigentlich wollte der Trailrunner gar keinen Rekord aufstellen, jetzt hat er doch alle 82 Alpengipfel mit 4000 Metern von Ost nach West bezwungen. Hier im Bergmassiv Grand Combin in den Waliser Alpen kam er gut voran
© Nick Danielson
"Alienmäßig" nennen Kollegen, was Kilian Jornet gerade geschafft hat. Der Trailrunner hat alle 4000-Meter-Gipfel in den Alpen überquert, insgesamt 82 Berge. Jornet stellte dabei einen neuen Rekord auf: Er war mehr als dreimal so schnell wie sein Vorgänger

Kennen Sie diese Leute, die auf schmalen Wanderwegen so schnell an einem vorbeisausen, dass man gerade noch den Luftzug spürt und etwas Buntes im Augenwinkel erkennt? So jemand ist Kilian Jornet, allerdings einer der besten: Jornet ist professioneller Trailrunner oder, zu deutsch, Bergläufer. 

Anfang August gewann er das Sierre-Zinal "Race of the Five" in der Schweiz, bei dem man auf Zeit eine Strecke entlang von fünf 4000er-Gipfeln bewältigen muss. Danach lief er einfach weiter – und hat jetzt alle 82 der 4000er-Gipfel in den Alpen allein durch Muskelkraft in nur 19 Tagen bezwungen. Sein Vorgänger, die "Schweizer Maschine" Ueli Steck schaffte dasselbe in 62 Tagen; den alten Rekord stellten Franco Nicolini und Diego Giovannini 2008 auf, mit 60 Tagen.

Kilian Jornet steigt im Wallis Schneehang hinauf
"Alpine Connections" – "Alpine Verbindungen" nennt Kilian Jornet (r.) die Tour, auf der er alle 82 der 4000er-Gipfel aus reiner Körperkraft von Ost nach West verbunden hat. Auf manchen Strecken hatte er Gesellschaft: "Die Alpen sind groß, und trotzdem treffe ich immer wieder Bekannte." Aber die Berge, auch im Sommer oft schneebedeckt, zehrten an ihm: Auf manchen Etappen verbrauchte er mehr als 9000 Kalorien
© Alpine Connections

Schon im vergangenen Jahr rannte Jornet in acht Tagen über 177 Gipfel in den Pyrenäen. Das Sierre-Zinal "Race of the Five" Anfang des Monats hat er schon zum zehnten Mal gewonnen – diesmal in 2 Stunden, 25 Minuten und 34 Sekunden, schneller als der Rekord, den er selbst aufgestellt hat. Aber das reichte ihm nicht. Die Berge waren zu schön, die Bedingungen zu gut – also machte Jornet nach nur fünf Tagen Vorbereitung einfach weiter. Schließlich gibt es insgesamt 82 der 4000er-Gipfel in den Alpen. Und die nahm sich Jornet für den Rest des Sommers vor.

Gestern Nachmittag hat er es geschafft. "Das war ohne Zweifel das Anstrengendste, was ich jemals in meinem Leben unternommen habe, mental und körperlich, aber vielleicht auch das Schönste", schrieb er am Sonntag auf Instagram.

Auf Phase 3 durchquerte Kilian Jornet das Berner Oberland mit seinen Gletschern auf einer Strecke von 99 Kilometern über sechs Gipfel, darunter das Hinter Fiescherhorn, den Mönch und die Jungfrau. "Die Bedingungen waren nicht immer auf meiner Seite", schrieb Jornet auf Instagram. Allein bei der Route auf das Aletschhorn musste er dreimal umplanen
Auf Phase 3 durchquerte Kilian Jornet das Berner Oberland mit seinen Gletschern auf einer Strecke von 99 Kilometern über sechs Gipfel, darunter das Hinter Fiescherhorn, den Mönch und die Jungfrau. "Die Bedingungen waren nicht immer auf meiner Seite", schrieb Jornet auf Instagram. Allein bei der Route auf das Aletschhorn musste er dreimal umplanen
© Alpine Connections

Die Gipfel der Alpen sind technisch extrem anspruchsvoll, gerannt wird nicht auf von Kiefernnadeln gedämpften Pfaden. Für den gebürtigen Spanier Jornet kein Problem: Schnee und Wind sei er auch in seiner Wahlheimat Norwegen gewohnt. In dem Schnee, der auch im Sommer die 4000er der Alpen bedeckt, fühlt er sich wohl. Wenn der Untergrund es zuließ, schnallte sich Jornet Skier um. Ansonsten radelte er größere Strecken zwischen den Gipfeln mit dem Fahrrad.

"Ich mag den Wettbewerb, aber vor allem ist Sport für mich ein Weg, Landschaften zu entdecken, innen und außen", sagt Jornet. Als "Bergliebhaber" würde er sich beschreiben. Auf seiner Webseite listet er zwar nicht seinen Geburtsort auf, aber dafür sämtliche Details seines athletischen Körpers: 58 bis 59 Kilogramm Gewicht auf 1,71 Meter. Körperfett: 8 Prozent. Lungenkapazität: 5,3 Liter. Volumen-Sauerstoff-Maximum: 92ml/min/kg.

Trailrunner Kilian Jornet beim Klettern
Die Alpengipfel ab 4000 Metern wie hier im Wallis in der Schweiz sind keine Berge, auf die man einfach so hochtraben kann. Steile Hänge bremsten den Trailrunner Kilian Jornet schon mal aus. Dann half nur gutes, altes Klettern
© Nick Danielson

Auf einem Blog und in einer Tracking-Webapp kann man Jornets Rekordlauf nachverfolgen. Während vieler Abschnitte schlief er nur drei, vier Stunden pro Tag. Insgesamt ruhte er im Schnitt 5 Stunden, 17 Minuten und verbrauchte schon mal 9000 Kalorien pro Etappe. "Nach 30 Stunden da draußen fühlst du dich nicht mehr wie ein Mensch. Die Zeit verschwimmt, und dein Gehirn ist auf einmal ganz woanders", schreibt Jornet.

An Tag 5 schaffte er zum Beispiel die "Spaghetti-Tour": Alle 18 der 4000er-Gipfel im Monte-Rosa-Massiv in den Waliser Alpen in nur 17 Stunden 45 Minuten. Er hätte schneller sein können, schreibt Jornet, aber der Schnee sei leider so weich gewesen. Sportliche Semiprofis nehmen die Spaghetti-Tour in einer Woche.

Trailrunner Kilian Jornet läuft bei Nacht
Etappenziele richten sich nicht nach Tageszeiten: Die "Spaghetti-Tour" im Monte-Rosa-Massiv im Zermatt mit allein 18 der 4000er-Gipfel bewältigte Kilian Jornet nach 17 Stunden, 45 Minuten um ein Uhr morgens auf der Hörnlihütte, wo er sich erstmal "ein Fest aus Eiern, Suppe, Quinoa, Tortilla, Brokkoli, Erbsen und Kuchen" genehmigte, bevor er ins Bett fiel. Geübte Semiprofis nehmen sich für die "Spaghetti-Tour" eine Woche Zeit
© Nick Danielson

Akribisch sammelt Jornet auf seinen Touren Körperdaten wie Herzschlag und Kalorienverbrauch, die er der Wissenschaft zur Verfügung stellt. Denn Hochleistungssportler wie er stehen unter großer Stoffwechselbelastung, die sich auf Muskeln,  Organe und den Kreislauf auswirkt. Vielleicht finden Forschende  so irgendwann auch den Grund dafür, warum Jornet so viel schneller über Bergkämme rennt als andere. Womöglich reagiert sein Stoffwechsel viel widerstandsfähiger auf Belastung, wie ein Biologe in Jornets Team beobachtet hat. 

"Alienmäßig" nennt die Sportjournalistin und Höhenbergsteigerin Angela Benavides das, was Jornet da mal wieder dargeboten hat. Tatsächlich wollte Jornet mit seiner jüngsten Aktion gar nicht unbedingt einen Rekord aufstellen. Er wollte nur so lange weitermachen, wie er Lust hatte. Die 82 Gipfel waren vor allem ein Test für sich selbst: Was hält er aus, psychisch und körperlich?

Kilian Jornet rennt in der Sonne im Val Ferret
Er läuft und läuft: Selbst am eigentlichen Ruhetag in Val Ferret im Wallis unternahm Kilian Jornet "einen netten, einfachen Lauf in der Hitze". Wir können gespannt sein, wie der Trailrunner noch von sich hören machen wird
© Nick Danielson

Vom Piz Bernina im Osten über Dom, Matterhorn, Mont Blanc und gestern Dôme de Neige und Barre des Écrins, die beiden westlichsten Gipfel der Alpen in Frankreich: Auch wenn es nicht das Ziel war, hat Jornet nun also doch einen Rekord aufgestellt. Sein vorerst letzter Satz im Insta-Blog: Jetzt sei es Zeit auszuruhen. Jedenfalls "ein bisschen."