Kontroverse In Bayern sollen Gänsesäger geschossen werden – um eine Fischart zu retten. Das ist Unsinn

Gänsesäger in aufgewühltem Wasser mit grossem Fisch im Schnabel
Gänsesäger sind geschickte Jäger. Das "Idealmaß" ihrer Beute liegt zwischen zehn und fünfzehn Zentimetern
© Les Gibbon/Alamy/Alamy Stock Photos / mauritius images
Angler und Anglerinnen sorgen sich um die Äsche: Von den Fischen gibt es immer weniger in den Flüssen des Voralpenlandes. Viele machen dafür den Gänsesäger verantwortlich. Doch der Abschuss verdrängt nur grundsätzlichere Probleme – und schafft neue

Der Gänsesäger ist eigentlich eine Erfolgsstory. Der Entenvogel, der in Deutschland auf der Roten Liste als "gefährdet" geführt wird, hat den Süden der Republik für sich entdeckt. Vor allem zwischen Donau und Alpen fühlen sich inzwischen bis zu 1200 Tiere wohl. Doch nicht alle freuen sich darüber. Der Grund ist die Äsche.

Äschen sind forellenähnliche Fische, die kaltes, klares Wasser lieben und im Alpenvorland immer seltener anzutreffen sind. Angler und Anglerinnen machen dafür vor allem den Gänsesäger verantwortlich. Der ernährt sich nämlich hauptsächlich von Fischen. Nicht nur, aber auch von Äschen.

Ist also der Gänsesäger das Problem? Ein schon 2019 aufgelegtes, 800.000 Euro teures Forschungsprojekt soll klären, welchen Einfluss die Gänsesäger auf die Äschenpopulation haben. Teil der Untersuchungen ist auch die "Entnahme" der Fisch fressenden Vögel: In der verharmlosenden Behördensprache ist damit die Tötung gemeint. Nach Angaben des Landesbunds für Vogel- und Naturschutz (LBV) wurden bislang 440 Gänsesäger erschossen. Dass dieses Vorgehen nicht im Sinn einer Organisation liegen kann, die sich dem Schutz von Vögeln verschrieben hat, liegt auf der Hand.

"Abschussorgie von Gänsesägern"

Es ist also nur folgerichtig, dass LBV und BUND Naturschutz kürzlich unter Protest die Arbeitsgemeinschaft verließen, die das Projekt auch von Seiten des Naturschutzes begleiten sollte. Von einer "Abschussorgie von Gänsesägern" spricht LBV-Chef Norbert Schäffer in der "Süddeutschen Zeitung". Auch wegen "fragwürdiger wissenschaftlicher Aussagekraft" müsse die Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber das Projekt einstellen und den drohenden Abschuss stoppen, fordert der LBV.

Die Zeit drängt. Denn ab Mitte August ist die Schonfrist für die eigentlich geschützten Vögel um. Dann soll an den idyllischen Ufern von Isar und Lech wieder geschossen werden. Um zu beweisen, was sich leicht vermuten lässt: dass nämlich überall dort, wo der Gänsesäger fehlt, mehr Äschen leben. Inzwischen steht vonseiten der Naturschützenden sogar der Vorwurf im Raum, Angler hätten vor allem ihre geflügelte Konkurrenz um den sogenannten Speisefisch im Visier.

Natur- und Artenschutz mit der Flinte?

Fisch oder Vogel? Bei dem Interessenkonflikt geht es auch um die grundsätzliche Frage, ob Natur- und Artschutz mit der Flinte Probleme löst – oder lediglich grundsätzlichere verdrängt und neue schafft. Ein neues Problem wäre zum Beispiel der Tierschutz. Ist der "vernünftige Grund" für das Töten eines Tieres im Sinne des Tierschutzgesetzes überhaupt gegeben, wenn es ohnehin weder beabsichtigt noch möglich ist, den Gänsesäger an allen Voralpen-Flüssen zu vertreiben? Wer stellt sicher, dass die Tiere bei der Jagd nicht auch noch unnötig leiden? 

Zudem drängt sich der Verdacht auf, dass der Gänsesäger lediglich als Sündenbock herhalten muss ("Der Aufstieg des Gänsesägers ist der Untergang der Äsche" behaupten österreichische Angler). Der angeblich schädliche Appetit des Vogels soll von Missständen ablenken, die anzuerkennen weit unangenehmer, die zu beseitigen weit mühsamer sind. Dazu gehört die Klimaerwärmung, die die Wassertemperaturen steigen lässt. Dazu gehören Dreck und Gift aus der Landwirtschaft. Dazu gehört die Verbauung durch Stauwehre und andere Bauwerke, die Flüsse abriegeln und Fischarten wie die Äsche am Wandern hindern.

Statt unter dem Vorwand des Artenschutzes geschützte Tiere töten zu lassen, sollte die bayerische Landesregierung das Leben in und an den Flüssen des Alpenvorlandes umfassend fördern. Und das bedeutet: im großen Stil renaturieren. Davon hätten dann alle etwas.