Vor rund 400 Millionen Jahren eroberten die ersten Wirbeltiere das Land: Fische, die mit kräftigen Flossen zumindest zeitweise das Wasser verlassen konnten, um nach Nahrung zu suchen – noch unbehelligt von größeren Fressfeinden. Doch der Landgang der Wasserlebewesen könnte weit früher stattgefunden haben als bislang angenommen. Polnische Wissenschaftler glauben: mindestens zehn Millionen Jahre früher.
In ihrer im Fachmagazin "Scientific Reports" veröffentlichten Studie stellen sie die Belege für ihre These vor: Im jahrmillionenalten Sandstein des Heiligkreuzgebirges fanden die Paläontologen zahlreiche napfartige Vertiefungen, die sie als Spuren früher Gehversuche deuten.
Dabei handelt es sich nicht nur um Abdrücke des Rumpfes oder Spuren, die die Flossen im weichen Schlick des damaligen Ufers hinterließen. Viele der Vertiefungen deuten die Forschenden als Abdrücke der Schnauze, mit deren Hilfe sich die Tiere hebelartig fortbewegt haben könnten. Ein ähnliches Verhalten war schon zuvor bei einer weiteren Fischart, Osculichnus tarnowskae, beschrieben worden.
Das Mittelgebirge war einst Übergangsbereich von Land und Meer
"Diese zusammengesetzte Spur", so schreiben die Forschenden, "ist der erste Beweis für das bisher unbekannte Verhalten und die Fortbewegungsfähigkeiten von Lungenfischen in der frühen Phase ihrer Evolution und dokumentiert die Erprobung der Landmobilität von Wirbeltieren, die etwa zehn Millionen Jahre älter ist als die Fortbewegungsspuren vollständig terrestrischer Tetrapoden [Wirbeltiere mit vier Gliedmaßen, d. Red.]."

Die Sandsteinplatten mit mehr als 240 Spuren wurden schon 2021 geborgen. Und ganz überraschend war der Fund nicht. Denn das Heiligkreuzgebirge, etwa 190 Kilometer südlich von Warschau, ist ein geologisches Fenster in die Frühgeschichte des Lebens: Vor etwa 410 bis 390 Millionen Jahren stellte es noch einen Übergangsbereich zwischen Land und Meer dar, möglicherweise eine Küste. Zu genau jener Zeit also, auf die die Wissenschaft bisher den Landgang der ersten Wirbeltiere datiert. Erst später falteten tektonische Kräfte die Sedimentschichten zu einem Gebirge auf.
"Die Spurenfossilien ähneln stark den Spuren, die moderne Lungenfische hinterlassen, wenn sie sich über freiliegende Ufer ziehen", sagt Piotr Szrek, Paläontologe am Polnischen Geologischen Institut und Hauptautor der Studie im Magazin "Science".
Verblüffende Ähnlichkeit mit Spuren heutiger Lungenfische
Lungenfische sind eng mit den frühesten Vorfahren aller vierbeinigen Landwirbeltiere verwandt. Sie atmen mit Lungen statt mit Kiemen, die von Wasser durchströmt sein müssen. Und sie besitzen Flossen an jenen Stellen des Körpers, an denen sich später bei landlebenden Wirbeltieren die Gliedmaßen entwickeln. Um ihre These zu überprüfen, verglich das Forschungsteam die Spuren im Sandstein mit frischen Spuren noch lebender westafrikanischer Lungenfische: Die 3-D-Scans von Abdrücken von Schwanz, Schnauze, Flossen und Rumpf stimmten bis ins Detail überein.
Und nicht nur das: Szrek und seine Kollegen wollen sogar nachgewiesen haben, dass die frühen Landgänger frühe Vorfahren aller Linkshänder im Tierreich waren. Demnach weisen 36 der Spuren, die mit dem Maul in den Schlamm gedrückt wurden, eine Neigung zu einer Seite auf. Mit 35 zu eins überwiegt dabei die Betonung der linken Seite deutlich.
In der Fachwelt stößt die neue Studie aber auch auf Zurückhaltung. Ebenfalls im Magazin "Science" erklärt der nicht an der Studie beteiligte Paläontologe Gregory Retallack von der Universität Oregon: "Wir glauben nicht, dass Lungenfische auf der Hauptlinie der Evolution zu höheren Wirbeltieren stehen. Aber die neuen Funde stützen immerhin die Idee, dass es in einer anderen Linie in der frühen Evolution der Fische die Fähigkeit zu Ausflügen an Land gab."