Kognition Erstaunlich reflektiert: Schimpansen überdenken ihre Überzeugungen

Porträtfoto eine nachdenklichen Schimpansen
Schimpansen können rational entscheiden – und ihre Überzeugungen überdenken, wenn es neue, bessere Beweise gibt
© Edwin Butter / Adobe Stock
Die menschliche Fähigkeit, rationale Entscheidungen zu treffen, ist im Tierreich nicht einzigartig. Schimpansen können es auch

Wir Menschen stehen jeden Tag vor Entscheidungen, die wir – mehr oder weniger – rational begründen. Doch auf der Grundlage von Beweisen Entscheidungen zu treffen – und die Entscheidung bei einer neuen Beweislage zu revidieren –, das können nicht nur Menschen. Einem internationalen Forschungsteam ist es im "Ngamba Island Chimpanzee Sanctuary" in Uganda nun erstmals gelungen, diese Fähigkeit auch bei unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen, nachzuweisen.

Wie die Forschenden im Fachmagazin "Science" berichten, präsentierten sie den halbwild lebenden Primaten in einer Reihe von Experimenten jeweils zwei undurchsichtige Boxen, von denen aber nur eine eine Belohnung enthielt.

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Die Affen erhielten nun unterschiedlich aussagekräftige Hinweise, in welcher Box sich das Futter befinden könnte. So präsentierten die Forschenden den Affen neben der Box mit Futter eine mit einem Stück Holz. Zum "Beweis" dafür, dass sich darin etwas Essbares befinden könnte, schüttelten sie die Box. In der Folge entschied sich der Proband oder die Probandin für die Kiste, die ein Geräusch gemacht hatte – und ging leer aus. Hatte der Primat aber einen stärkeren Beweis – weil ihm das Futter durch eine Plexiglasscheibe in der Rückwand der Box gezeigt worden war –, traf er anschließend die richtige Wahl. Mit weiteren Hinweisen, darunter neben der Box verstreute Nahrungsreste, täuschten die Forschenden ihre Probanden oder leiteten sie auf die richtige Spur.

Schimpansen entschieden sich zwei- bis dreimal häufiger rational als irrational

In fünf verschiedenen Versuchsanordnungen zeigte sich: Wurden stärkere Beweise vor den schwächeren gezeigt, blieben die Schimpansen tendenziell bei ihrer ursprünglichen Entscheidung. Andersherum änderten sie ihre Meinung, wenn zuerst die schwächeren Beweise gezeigt worden waren.

Um auszuschließen, dass die Primaten einfach nur den neuesten oder offensichtlichsten Hinweisen folgten, glichen die Forschenden per Computermodell die Entscheidungen der Affen mit verschiedenen Denkstrategien ab. Bei der Auswertung aller fünf Versuchsanordnungen und -durchläufe zeigte sich: Die Primaten entschieden sich zwei- bis dreimal häufiger rational als irrational.

"Schimpansen waren in der Lage, ihre Überzeugungen zu überarbeiten, als bessere Beweise verfügbar wurden", erklärt die Postdoktorandin Emily Sanford von der Universität Berkeley. "Diese Art von flexibler Argumentation ist etwas, das wir oft mit vierjährigen Kindern verbinden. Es war spannend zu zeigen, dass Schimpansen das auch können."

"Die Studie stellt die traditionelle Ansicht infrage, dass Rationalität – die Fähigkeit, Überzeugungen auf der Grundlage von Beweisen zu bilden und zu überarbeiten – ausschließlich dem Menschen vorbehalten ist", heißt es in einer Pressemitteilung der Universität Berkeley. Und Sanford ergänzt: "Der Unterschied zwischen Menschen und Schimpansen ist kein kategorischer Sprung. Es ist eher wie ein Kontinuum."