Tierverhalten "Schimpansen-Kriege" im Fokus der Forschung: Warum töten Affen ihre Nachbarn?

Brüllender Schimpanse
Eine neue Untersuchung zeigt, dass hochaggressive Schimpansen-Männchen von ihrem "Schimpansen-Krieg" gegen eine benachbarte Gruppe profitieren
© ondrejprosicky / Adobe Stock
Töten, um das eigene Reich zu vergrößern – das tun nicht nur Menschen. Wissenschaftler haben ermittelt, wie Schimpansen-Männchen von tödlichen Angriffen profitierten

Schimpansen sind unsere nähesten Verwandten – und oft unfassbar brutal. Drohungen und Gewalt sind schon innerhalb der Gruppen alltäglich. Auch tödliche Attacken auf Nachbarn gehören zum üblichen Verhaltensrepertoire. Evolutionär kann das wohl Sinn machen, wie ein solcher Fall in Uganda zeigt. Die mit der tödlichen Aggression verbundene Ausweitung des eigenen Territoriums habe eindeutig zu erhöhtem Fortpflanzungserfolg geführt, schließen Forscher.

Faultiere sind zwar nicht die schlausten Säuger. Doch durchaus möglich, dass auch sie zu nuancierten Empfindungen fähig sind

Philosophie Was unterscheidet den Menschen vom Tier?

Lange glaubten Forschende, die Vernunft ziehe die Grenze zwischen uns und den Tieren. Doch inzwischen ist klar: Auch sie haben Verstand und Gefühle. Gibt es überhaupt noch eine scharfe Trennlinie?

Das Team hatte die sogenannte Ngogo-Gruppe wildlebender Gemeiner Schimpansen (Pan troglodytes) im Kibale National Park in Uganda betrachtet, die seit langem für gewalttätige Auseinandersetzungen mit benachbarten Gruppen bekannt ist. Die Analyse zeigte, dass die hochaggressiven Männchen von ihrem "Schimpansen-Krieg" profitieren: Nachdem sie bei einer Reihe koordinierter Angriffe zwischen 1998 und 2008 mindestens 21 Tiere benachbarter Gruppen getötet hatten, wuchs das Territorium der Ngogo-Gruppe um 22 Prozent.

Wesentlich mehr Nachwuchs für die aggressiven Männchen

In den Folgejahren gebaren die Ngogo-Weibchen mehr Junge: In den drei Jahren vor der Expansion gab es 15 Nachkommen, in den drei Jahren danach 37 - also mehr als doppelt so viele. Zudem überlebten wesentlich mehr Jungtiere, wie das Team um Brian Wood von der University of California in Los Angeles berichtet. Die Sterblichkeitsrate vor dem dritten Lebensjahr fiel von 41 auf nur noch 8 Prozent. Einen Zusammenhang etwa mit mehr verfügbarer Nahrung habe es nicht gegeben.

Die Studie liefert den Forschenden zufolge Erkenntnisse über die evolutionären Wurzeln von Aggression zwischen Gruppen einer Art. "Ob ähnliche Prozesse auch in der menschlichen Evolution eine Rolle spielten, bleibt eine offene Frage", heißt es in der Studie. Womöglich hätten auch unsere frühen Vorfahren wegen der Chance auf mehr Nachwuchs die Fähigkeit zu koordinierter Gewalt entwickelt. Gerade bei knapper werdenden Ressourcen könnten territoriale Gewinne zu echten Fortpflanzungsvorteilen führen, erklärte Wood.

Kann es der Mensch besser - oder eher nicht?

"Glücklicherweise haben Menschen eine außergewöhnliche Fähigkeit entwickelt, solche Konflikte zu lösen und zu vermeiden, wodurch sie einem Kreislauf aus Nahrungsknappheit, territorialer Gewalt und Nullsummenkonkurrenz zwischen benachbarten Gruppen entkommen können", glaubt er.

Mit Händen und Füßen: ein männlicher Ostafrikanischer Schimpanse aus der Sonso-Gemeinschaft im Budongo-Wald (Uganda) beim Trommeln
Mit Händen und Füßen: ein männlicher Ostafrikanischer Schimpanse aus der Sonso-Gemeinschaft im Budongo-Wald (Uganda) beim Trommeln
© Adrian Soldati
Schimpansen trommeln mit Taktgefühl – und liefern Hinweise auf Ursprünge der Musik

"Unsere Unfähigkeit, die Gewalt zu besiegen, ist frustrierend", meint hingegen der Biologe Carl Safina im Buch "Die Kultur der wilden Tiere". Beobachtungen von Schimpansen seien wohl gerade deshalb oft unangenehm, weil sie so sehr an menschliches Verhalten erinnerten. "Bei Schimpansen wie bei Menschen verschwenden männliche Leidenschaften nicht nur die Zeit aller; sie verhindern auch, dass die Zeit besser genutzt wird." Mensch und Schimpanse seien bizarre Ausnahmen bei in Gruppen lebenden Tieren.

Ich wünscht', ich wär ein Bonobo

Für die Menschheit wünschenswerter wäre demnach wohl, nähester Verwandter des Bonobos (Pan paniscus), der zweiten heute lebenden Schimpansenart, zu sein: Bei Bonobos ist das ranghöchste Tier Safina zufolge immer ein Weibchen. Die Tiere hätten das empathischste Gehirn aller Hominiden und kaum aggressive Impulse. 

Auch bei anderen großen Affen seien Aggressionen eher die Ausnahme: Gorillagruppen im selben Gebiet gingen sich einfach aus dem Weg, Orang-Utans kümmerten sich in der Regel nur um ihre eigenen Angelegenheiten.

Annett Stein