Cowboyboots im Hochsommer, goldene Ohrringe in Tropfenform und Tattoos aus feinen Linien, die unter einem Shirt mit Leopardenprint hervorblitzen: Längst nicht alles, was wir tragen, hat einen Nutzen. Manche Dinge erfüllen nur einen einzigen Zweck: Sie sehen gut aus. Zumindest fanden wir das, als wir Menschen mit ebendiesen Styles an uns vorbeischlendern sahen, die uns beeindruckt den Kopf drehen ließen. Also machen wir es ihnen nach und kopieren ihre Stiefel, ihren Schmuck, ihre Tattoos. Ein Trend entsteht.
Und das, zeigt eine Studie von Forschenden aus Sambia, den Niederlanden und Großbritannien, ist kein rein menschliches Phänomen. Auch Tiere eifern Trends nach. Schimpansen in einem Schutzgebiet in Sambia tragen statt Leopardenprint allerdings Grashalme, die sie sich in die Ohren und den Hintern stecken und damit ohne ersichtlichen Grund durch die Gegend stolzieren.
Trendsetterin der ersten Stunde war eine Schimpansin namens Julie: Bereits im Jahr 2010 begann sie damit, sich einen Grashalm ins Ohr zu stecken. Sieben andere Schimpansen des Chimfunshi Wildlife Orphanage Trust taten es ihr nach und kopierten das Verhalten. Selbst heute, die Mode-Ikone ist längst tot, schmücken sich die Affen ihrer Gruppe noch mit den Halmen. Einen Nutzen haben diese nicht – nur äußerst selten wurden die Tiere dabei beobachtet, wie sie sich mit den Grashalmen kratzten. "Das zeigt, dass Tiere wie auch der Mensch scheinbar sinnlose Verhaltensweisen voneinander kopieren", sagt Co-Autor Edwin van Leeuwen von der Universität Utrecht in einer Mitteilung der Hochschule. "Das wiederum könnte Einblicke in die evolutionären Wurzeln der menschlichen Kultur bieten."
Mehr als ein Jahrzehnt nach Julie begann plötzlich auch eine andere Schimpansengruppe der Auffangstation damit, Grashalme als Schmuck zu etablieren. Diesmal war es der Schimpanse Juma, der im August 2023 zuerst damit begann, sich einen Grashalm ins Ohr zu stecken. Bald schon wurde er innovativ und kreierte einen neuen Trend: Der schmucke Grashalm macht sich nicht nur im Ohr gut, befand er, sondern auch, wenn er aus dem Hintern ragt. Seine Artgenossen teilten diese Meinung. Innerhalb weniger Tage imitierte ein Großteil der Gruppe sein Verhalten.
Affen in Gefangenschaft sind kreativer
Wie aber wurden die Grashalme einst zum Trend, sprich: Wie kamen die beiden Trendsetter auf die Idee, mit dem Verhalten zu beginnen? Um das herauszufinden, beobachteten die Forschenden das Verhalten von 147 Schimpansen in der Auffangstation über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr und überprüften mithilfe einer statistischen Analyse, wer sich an wem orientiert hatte. So konnten sie zeigen, dass die Tiere zwar innerhalb der eigenen Gruppe das Verhalten voneinander kopierten, die beiden modebewussten Gruppen aber keinerlei Kontakt miteinander hatten. Juma konnte sich das Verhalten also unmöglich aus der Gruppe um Julie abgeschaut haben.
Die Forschenden identifizierten stattdessen ganz andere, überraschende Modepioniere, die sowohl Julie als auch Juma einst inspiriert haben müssen: Pfleger. "Beide Gruppen, in denen sich die Schimpansen Grashalme in die Ohren steckten, hatten die gleichen Pfleger. Diese berichteten, dass sie sich manchmal einen Grashalm oder ein Streichholz in ihre Ohren steckten, um sie zu reinigen", sagt Verhaltensbiologe Van Leeuwen. "Die Schimpansen der zweiten Gruppe fanden dann heraus, dass sie den Grashalm auch an eine andere Stelle stecken können."
In freier Wildbahn sind solche vermeintlich sinnlosen Trends bei Schimpansen bislang nicht bekannt. Möglich, dass solche Verhaltensweisen existieren, aber noch nicht beobachtet wurden. Oder dass die Tiere ohne das menschliche Vorbild gar nicht auf die Idee kommen. Die Forschenden haben aber noch eine andere Erklärung dafür, dass sich gerade Schimpansen in Gefangenschaft herausputzen: Ihnen ist möglicherweise schlichtweg ein wenig langweilig. "In Gefangenschaft haben die Tiere mehr freie Zeit als in freier Wildbahn", sagt Van Leuuwen. "Sie müssen nicht so wachsam sein oder so viel Zeit mit der Nahrungssuche verbringen." Auch bei Orang-Utans hatte eine Studie bereits gezeigt, dass in Gefangenschaft lebende Tiere deshalb kreativer und ideenreicher sind.
Trends stärken Zugehörigkeitsgefühl
Völlig nutzlos ist der Grastrend der Schimpansen am Ende aber wohl nicht. Die Forschenden glauben, dass er auch einen sozialen Zweck erfüllt. Denn wenn man das Verhalten eines anderen nachahmt, zeigt man, dass man ihn wahrnimmt – und mag. "Dieses Verhalten könnte also dazu beitragen, soziale Bindungen zu stärken und ein Gefühl der Zugehörigkeit innerhalb der Gruppe zu schaffen, wie es auch beim Menschen der Fall ist", sagt Van Leuuwen.
Und das Verhalten könnte ein altes Bild ins Wanken bringen: Die Vorstellung, dass einzig der Mensch dazu in der Lage ist, selbst kleine, scheinbar nutzlose Details zu kopieren. Andere Tiere, so die Meinung einiger Forschender, seien dazu nicht in der Lage. Sie müssten das Rad ständig neu erfinden, ihre Kultur könne sich dadurch nicht weiterentwickeln. "Unsere Studie zeigt jedoch, dass auch Schimpansen in der Lage sind, kleine, scheinbar nutzlose Verhaltensweisen voneinander zu kopieren", sagt Co-Autor Jake Brooker von der Universität Durham. "Deshalb ist es uns wichtig, diese neuen Beobachtungen mitzuteilen."
Mit ihrer Begeisterung für Modetrends sind die Schimpansen in der Tierwelt übrigens nicht allein. Vor der US-Küste wurden Orcas dabei beobachtet, wie sie Hüte aus Lachs trugen – auch diese Mode wurde von einer kreativen Orca-Dame eingeführt und dann von Artgenossen kopiert. In Panama wiederum haben Kapuzineraffen-Männchen die Marotte entwickelt, die Babys von Brüllaffen zu entführen und wie ein Accessoire zu tragen, bis diese schließlich ohne die nötige Zuwendung sterben. Der Grashalm-Trend der Schimpansen ist dagegen gänzlich harmlos. Und im Gegensatz zur menschlichen Fast-Fashion-Industrie auch äußert umweltfreundlich.