Zum Inhalt springen
Abo testen Login

Philosophie Denken, wo es wehtut: Peter Singer stellt die Grundfesten unserer Moral infrage

Mit seinen Thesen erschütterte Peter Singer einst die Welt. Er gilt einer der einflussreichsten Philosophen der Gegenwart, als Querkopf und Provokateur. Was treibt ihn an? 
Peter Singer sitzt vor einem strahlend blauen Himmel, trinkt eine orangene Flüssigkeit mit einem Strohhalm aus einem Glas
"Wir ziehen eine willkürliche Linie um die mächtigste Spezies auf diesem Planeten, Homo sapiens", sagt Peter Singer. "Wer dieser Spezies nicht angehört, dessen Leid zählt nicht."
© Alana Holmberg

Niemand zuvor hatte das Unrecht so lückenlos bewiesen wie Peter Singer. "Animal Liberation" heißt das Buch, das er im Sommer 1975 veröffentlichte: die "Befreiung der Tiere". Es machte den damals 28-jährigen Moralphilosophen aus Oxford über Nacht zum Star.

Eine Eigenschaft, argumentierte Singer, die auf alle Menschen zutrifft und unser Leben wertvoller als das der Tiere macht, gibt es nicht. Die Sonderstellung des Menschen sei willkürlich, ungerecht und fuße auf reiner Ideologie. "Speziesismus" nannte Singer sie, in Anlehnung an Rassismus und Sexismus. 

In den darauffolgenden Jahrzehnten trieb Singer diesen Gedanken immer weiter. Auch dorthin, wo es wehtut. Wo Menschen tatsächlich ihren Sonderstatus verlieren. In Gedankenspielen stellt er seine Leserinnen und Leser vor die grausame Wahl: Töten sie einen gesunden Schimpansen oder einen schwerstbehinderten Menschen? 

Heute ist Singer 78 Jahre alt, vor Kurzem legte er seine Professur in Princeton nieder und zog zurück in seine Geburtsstadt Melbourne. Das GEO-Interview führt er per Videoschalte. Singer sitzt am Küchentisch, während des Gesprächs platzt seine Tochter herein, sie hat Essen mitgebracht. Singer lächelt viel, fährt sich immer wieder durch die buschigen Augenbrauen. Einen Moment lang könnte man meinen, der einstige Provokateur sei zahm geworden, fast altersmilde. Dann spricht er über Themen, die ihn seit Jahrzehnten beschäftigen: über Sterbehilfe für leidende Säuglinge etwa. Und plötzlich werden seine Worte wieder zu Schlägen in die Magengrube.