Forschungslücke Ozean Forschende warnen: Unser Wissen über die Tiefsee ist winzig

Laternenfisch in der Tiefsee
Da die Erforschung der Tiefsee – also Meeresregionen von mindestens 200 Metern Tiefe – mit hohen Kosten einhergeht, ist sie stark von einigen wenigen Ländern dominiert
© Marko Steffensen / Alamy Stock Photos / mauritius images
Der Mensch richtet seinen Blick gern Richtung Mond und Mars – dabei kennt er den eigenen Planeten Erde teils noch überraschend schlecht. Forscher warnen: Dieses Unwissen könnte zum Problem werden

Seit Jahrzehnten erforscht die Menschheit die Tiefsee – und kennt trotzdem nur einen minimalen Bruchteil davon. Nicht einmal 0,001 Prozent des gesamten Tiefseebodens seien bislang durch direkte Beobachtungen von Menschen erfasst worden, rechnet ein US-Forschungsteam im Fachblatt "Science Advances" vor. Das entspricht gerade einmal rund einem Zehntel der Landesfläche von Belgien. 

Großes Unwissen, viele Bedrohungen

Die federführende Forscherin Katy Croff Bell betont in einer Mitteilung: "Diese begrenzte Erforschung einer so riesigen Region wird zum ernsthaften Problem für Wissenschaft und Gesetzgebung, da die Tiefsee verstärkten Bedrohungen – von Klimawandel bis möglichen Tiefseebergbau und Ausbeutung – ausgesetzt ist." Es brauche ein viel besseres Verständnis über die Ökosysteme der Ozeane und ihrer Prozesse, um informierte Entscheidungen über Schutz und Ressourcenmanagement zu treffen.

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Bell ist Präsidentin der sogenannten Ocean Discovery League, die sich für eine bessere Erforschung der Ozeane stark macht. Für die aktuelle Schätzung hat das Team Daten der Tiefseetauchgänge der vergangenen Jahrzehnte unter die Lupe genommen, insgesamt wurden rund 44.000 Tauchgänge ausgewertet. Fast 30 Prozent davon wurden vor 1980 durchgeführt, sodass nur Schwarz-Weiß-Bilder mit niedriger Auflösung davon vorliegen. 

Forschung von wenigen Staaten dominiert

Das Team stellte neben dem großen Ausmaß des Unbekannten auch regionale Besonderheiten fest: Da die Erforschung der Tiefsee – also Meeresregionen von mindestens 200 Metern Tiefe – mit hohen Kosten einhergeht, ist sie stark von einigen wenigen Ländern dominiert: Die USA, Japan, Neuseeland, Frankreich und Deutschland sind für 97 Prozent der durchgeführten Beobachtungen verantwortlich. Dadurch sind die Gebiete in der Nähe dieser Länder am besten erkundet: Ein Großteil befindet sich in den 200-Meilen-Zonen von Japan, Neuseeland und den USA.

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© ROV SuBastian / Schmidt Ocean Institute
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© Schmidt Ocean Institute

"Diese kleine und verzerrte Stichprobe ist problematisch, wenn es darum geht, die Weltmeere zu charakterisieren, zu verstehen und zu managen", schreiben die Autoren.

Insgesamt macht die Tiefsee den Autoren zufolge mehr als 60 Prozent der Erdfläche aus. Sie spielt eine wichtige Rolle für das Gleichgewicht des Planeten, etwa für die Regulierung des Klimas. Die Ozeane sind massiv vom Klimawandel beeinflusst, da sie den Großteil der vom Menschen verursachten Wärme aufnehmen. Für die oberen Schichten ist dies recht gut erforscht, über die Auswirkungen in der Tiefsee weiß man bislang weniger.

Nicht alle Tauchgänge erfassbar

Mithilfe von Satellitentechnik ist der Meeresboden teils aus der Ferne kartiert worden. Die Studienautoren argumentieren jedoch, dass direkte visuelle Beobachtungen wichtig sind – etwa um das Umfeld einordnen zu können, aus dem Proben stammen, oder um die Entwicklung der Artenvielfalt zu erforschen.

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Eine Schwäche der Studie ist der teilweise eingeschränkte Zugang zu Daten über Tauchgänge, wenn diese Unternehmen – etwa aus dem Öl- oder Gassektor – gehören oder als geheim eingestuft sind, wie das Forschungsteam berichtet.

Die Wissenslücke zu verringern, erfordert enorme Anstrengungen. Dass die dafür notwendige Ausrüstung jedoch kleiner und günstiger werde, könne kleineren und weniger wirtschaftsstarken Ländern die Möglichkeit geben, sich stärker an der Forschung zu beteiligen, schreiben die Autoren.