Jeder Winzling für sich ist für das menschliche Auge nicht zu erkennen. Aber in Massen werden sie plötzlich sehr sichtbar: Cyanobakterien. Besonders im Sommer vermehren sie sich zuweilen explosionsartig und bilden dann manchmal gar grüne Schlieren auf Teichen und Seen.
Die Mikroben, die zum Plankton gehören, spielen eine wichtige ökologische Rolle. Viele stellen Bausteine für die Nahrungsnetze in den Gewässern her. Mithilfe der Sonne wandeln sie Kohlendioxid um und bauen Biomasse auf, von der sich wiederum andere Organismen ernähren. Einige Bakterien aus ihrer vielfältigen Gruppe binden auch Stickstoff aus der Luft, machen ihn für andere zugänglich. Und sie zählen zu den ältesten Lebewesen der Erde, sind fast auf dem gesamten Globus zu finden.
Sie verursachen jedoch auch weltweit Probleme – wenn sie außer Kontrolle geraten, sobald sie "aufblühen". Denn viele Arten können Giftstoffe produzieren, die auch Menschen oder Tieren schaden können, je nach Dosierung. Bisher hatte sich die Forschung auf zwei Faktoren konzentriert, die ein solches Aufblühen begünstigen.
Die Verschmutzung durch Düngemittel oder Abwässer kurbelt zum einen ihr Wachstum an. Und auch der Klimawandel und die damit verbundene Erwärmung des Wassers treiben ihre Vermehrung voran.
Wie wirkt sich das Himmelsleuchten auf die Winzlinge aus?
Nun stellt sich heraus: Auch menschengemachtes Licht scheint ihre Schar zur Vervielfachung zu bringen. "Lichtverschmutzung in städtischen Gebieten kann ein Problem sein, wie auch der Nährstoffeintrag", sagt Hans-Peter Grossart vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. "Wahrscheinlich begünstigt die Kombination von beidem die Blüte der Cyanobakterien."
Grossart und sein Team untersuchten, wie sich das "Himmelsleuchten" auf die Heimat der Mikroben auswirkt. Damit ist nächtliches künstliches Licht gemeint, das unter anderem von den Wolken abprallt und dann auf Seen oder Flüsse scheint – selbst dann noch, wenn die Städte, die den Großteil der Lichtverschmutzung verursachen, 50 Kilometer von den Gewässern entfernt liegen. Ein Phänomen, das seit der Einführung von LEDs enorm an Intensität zugenommen hat. In Zukunft könnte das Problem noch gravierender sein. "Die Zuwachsraten bei der Lichtverschmutzung betrugen in den vergangenen Jahren global fast zehn Prozent jährlich", sagt Hans-Peter Grossart.

Die Forschenden wählten für ihren Test den Stechlinsee aus, rund 80 Kilometer nördlich von Berlin, der wegen seines ungewöhnlich dunklen Himmels ein idealer Standort ist. "Wir wollten in einem Gebiet arbeiten, das kaum von Lichtverschmutzung betroffen ist, um das Problem nachahmen zu können", sagt Grossart.
Sie verwendeten eine schwimmende Plattform namens "LakeLab", das "Seelabor", in dem Wasser in 24 separaten Becken vom See abgetrennt werden kann. Dann setzten sie über einen Zeitraum von vier Wochen einige der Becken einem diffusen LED-Licht aus, und zwar von unterschiedlicher Stärke. Regelmäßig entnahmen sie Wasserproben, um Veränderungen zu analysieren. Und herauszufinden, wie sich das Licht auf das Vorkommen und die Anzahl der Mikroben auswirkte.
Das Team um Grossart stellte fest: Cyanobakterien und andere lichtempfindliche Einzeller kamen in jenen Becken, die mit Kunstlicht bestrahlt worden waren, zehn bis 54-mal häufiger vor als in solchen, die von diesem Leuchten verschont blieben. Am größten war der Effekt in jenen Becken, die mit dem intensivsten Himmelslicht konfrontiert wurden, vergleichbar mit dem, was in einer Großstadt wie Paris von den Wolken auf die Erde umgelenkt wird.
"Es handelt sich um eine spürbare Veränderung, die auch ökologische Folgen haben kann", sagt Grossart, "da sich die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaft verändert." Und obwohl die Wissenschaftler nicht direkt danach suchten, lässt sich annehmen: Das zusätzliche Licht begünstigt sehr wahrscheinlich auch das Wachstum von Spezies, die Giftstoffe produzieren können.

Die Cyanobakterien scheinen das zusätzliche Licht in der Nacht für ihr Wachstum zu verwerten, obwohl das "Himmelsleuchten" im Vergleich etwa zur Stärke einer Straßenlaterne gering ist und gar nicht die Photosynthese in Gang setzt.
Dennoch verschaffe ihnen das Licht im Unterschied zu anderen Lebewesen des Planktons einen Vorteil, so Grossart, und er ergänzt: "Das könnte das Problem der schädlichen Bakterienblüten noch verschärfen."