Behörden sollten bei der Bekämpfung von Blaualgen vorsichtig sein - vor allem im Erie-See zwischen den USA und Kanada. Denn das von beiden Ländern geplante Vorgehen gegen die dortigen Cyanobakterien könnte sich als kontraproduktiv erweisen und die Giftstoff-Problematik deutlich verschlimmern. Davor warnt ein deutsch-amerikanisches Forschungsteam um Ferdi Hellweger von der Technischen Universität Berlin im Fachblatt "Science".
Cyanobakterien, umgangssprachlich Blaualgen genannt, vermehren sich in vielen Gewässern im Sommer massenhaft. Weil sie diverse Giftstoffe produzieren können, die die Gesundheit von Menschen und Tieren gefährden, werden auch in Deutschland regelmäßig Badeverbote verhängt. Besonderes Aufsehen erregte im Sommer 2014 die Lage in der Großstadt Toledo (US-Bundesstaat Ohio) am Lake Erie - einem der fünf Großen Seen. Die Bewohner durften damals Leitungswasser weder zum Trinken nutzen noch zum Zähneputzen oder Kochen.
Senkung der Phosphor-Zufuhr verringert nicht die Giftstoff-Konzentration
Im Erie-See hatte die Blaualge Microcystis besonders große Mengen des Giftstoffs Microcystin (MC) produziert. Um dies zu verhindern, haben sich die USA und Kanada verpflichtet, die Menge des Nährstoffs Phosphor (P) im See bis 2025 um 40 Prozent zu reduzieren - durch entsprechende Vorgaben etwa zur Düngung.
Dieser Plan könnte ungeahnte Folgen haben, mahnt nun das Team um Hellweger. Sie hatten zunächst mehr als 700 Experimente ausgewertet und dann die Folgen der Phosphor-Reduzierung in einem neuartigen Modell geprüft. Bei dieser sogenannten agentenbasierten Simulation wird das Verhalten diverser Blaualgen-Individuen nachgestellt, die zu verschiedenen Microcystis-Gruppen gehören und unterschiedliche Mengen des MC-Giftstoffs produzieren.
Demnach könnte eine Senkung der Phosphor-Zufuhr zwar die absolute Zahl der Cyanobakterien verringern, aber nicht zwangsläufig auch die Giftstoff-Konzentration im See. Im Gegenteil: Denn die verbleibende Microcystis-Population hätte dann ein wesentlich größeres Angebot an Licht und Nährstoffen, insbesondere Stickstoff (N). Da Stickstoff ein wichtiger Baustein für das MC-Molekül ist und auch Licht die Bildung des Giftes fördern kann, würden davon der Studie zufolge jene Microcystis-Stämme profitieren, die besonders viel Microcystin produzieren. Die Folge wären noch höhere Giftstoff-Konzentrationen im See - und zwar weitgehend unabhängig von der Temperatur.
"Weniger Phosphor im Wasser reduziert die Masse an Blaualgen und damit auch die Menge an Gift, das war die einfache Formel beim Gewässermanagement", wird Hellweger in einer Mitteilung seiner Hochschule zitiert. Die Wirklichkeit sei jedoch komplexer. "Wenn weniger Blaualgen vorhanden sind, müssen sie auch weniger um die anderen Nährstoffe konkurrieren, wovon der wichtigste der ebenfalls nur begrenzt vorhandene Stickstoff ist. Und Stickstoff wiederum ist ein wichtiger Baustein für das MC-Molekül."
Stickstoff verringern, um Blaualgen zu reduzieren
Daher schlägt Hellweger für das Management von Gewässern vor: "Will man die Giftstoffe von Blaualgen reduzieren, muss man nicht nur den Eintrag von Phosphor in die Seen verringern, sondern auch von Stickstoff, der ebenfalls in der Landwirtschaft in großen Mengen als Dünger verwendet wird."
In einem "Science"-Kommentar schreiben Irina Ofiţeru von der Newcastle University und Cristian Picioreanu von der King Abdullah University of Science and Technology im saudiarabischen Thuwal, das Team um Hellweger habe mit seiner aufwendigen Simulation einen ungeheuren Kraftakt unternommen, um experimentelle Daten zu sammeln und zu vereinen. Die Studie zeige, dass man auch über die Begrenzung der Stickstoff-Zufuhr beraten sollte.