Unterwasserwälder Hoffnungsträger aus der Tiefe: Kann Seetang Plastik ersetzen?

Unterwasserwälder: Hoffnungsträger aus der Tiefe: Kann Seetang Plastik ersetzen?
"Im Kelp-Anbau steckt ein gewaltiges Potenzial!": Die Filmemacherinnen Caylon La Mantia und Anna Roberts im Interview
Int. Ocean Film Tour Vol. 11
Kelp-Algen gelten als Helden der Meere, als Superfood und als Klimaretter. Was können sie wirklich? Zwei britische Filmemacherinnen sind den Kräften des Seetangs nachgegangen

GEO: Frau La Mantia, Sie haben sich auf eine lange Segelexpedition gewagt, um Seetang vor britischen Küsten zu untersuchen: den Kelp. Was interessiert Sie an diesen Algen?

Caylon La Mantia: Ich hatte gehört, dass aus Seetang vielversprechende Lösungsansätze für große Umweltprobleme unserer Zeit entwickelt werden. Darüber wollte ich mehr erfahren. Und ich wollte die Unterwasserwälder, die diese riesigen Algen bilden, mit eigenen Augen sehen.

Einige Kelp-Arten können vom Meeresgrund aus mehr als 30 Meter hoch in das Wasser aufragen. Manche Forschende nennen sie auch das "Gold der Meere": Die Algen werden seit Langem als Nahrungsmittel verwendet, enthalten große Mengen an Vitaminen und Jod. Die Kosmetikbranche setzt sie in Hautcremes ein, die Agrarwirtschaft nutzt die Algen als Dünger, und sogar in der Herzinfarkttherapie kommen Kelpprodukte zur Anwendung. Welcher Nutzen des Seetangs hat Sie besonders fasziniert?

Am spannendsten finde ich, dass Kelp uns helfen kann, nachhaltige Alternativen zu Plastikprodukten herzustellen. Auf unserer Reise haben wir unter anderem eine Firma besucht, die Folien aus dem Seetanggewebe entwickelt. So entstehen Verpackungen, die man essen kann. Das finde ich großartig. Man kann auch härtere Kunststoffe damit ersetzen, zum Beispiel für Einwegbesteck oder Pflanzentöpfe. Ich habe sogar schon Lampenschirme und Möbel aus Kelp gesehen: Sie sind in kurzer Zeit vollständig biologisch abbaubar. Kelp kann uns helfen, uns von der Wegwerfgesellschaft zu lösen. All die wunderbaren Menschen zu treffen, die voller Inspiration daran arbeiten, war für mich sehr motivierend. 

Sie waren monatelang unterwegs, um diese Hoffnungsträger der Unterwasserwelt näher kennenzulernen. Welche Schwierigkeiten gab es bei Ihrer Reise zu überwinden?

Ich wollte sämtliche Meeresfarmen in Großbritannien besuchen, die Kelp vor der Küste kultivieren und nutzbar machen. Aber wir hatten nur ein sehr kleines Budget: gerade einmal ein Filmstipendium über 6000 Pfund. Das war zwar für mich eine Menge Geld, ich hatte noch niemals so viel auf dem Konto. Aber die ganze Reise wäre damit nicht realisierbar gewesen. Zum Glück hat ein Freund von mir dann sein Segelboot zur Verfügung gestellt: So konnten wir mit geringen Finanzen und kleiner Umweltbelastung verschiedene Küstenorte anlaufen, an denen mit Seetang gearbeitet wird. 

Und wann Sie Ihre Stationen erreichten, hing vom Wind ab?

Ja, genau! Verabredete Termine waren für uns deshalb nur schwer einzuhalten. Manchmal waren wir um Tage verspätet.

Sag mal, du als Biologin: Quälgeister und Lebensspender: Was macht Algen so besonders?

Sag mal, du als Biologin Quälgeister und Lebensspender: Was macht Algen so besonders?

Manche Algen sind zäh wie Plastikfolie und 30 Meter lang, andere zerbrechlich zart und nur unter dem Mikroskop zu erkennen. Und sie sind allgegenwärtig: Algensporen schweben vermutlich jetzt gerade durch Ihre Wohnung. Eine Podcastfolge über eine Lebensform, die unseren Planeten seit Jahrmilliarden formt

Frau Roberts, als Co-Regisseurin haben Sie den Film über die Reise zum Kelp betreut. Kann Seetang uns allen helfen, zuversichtlicher in die Zukunft zu blicken?

Anna Roberts: Ja, unbedingt. Wir sind ständig von schlechten Nachrichten über Umweltprobleme umgeben. Studien aus der Neurowissenschaft zeigen, dass uns das ermüdet. Irgendwann resigniert man. Die Studien zeigen aber auch: Positive Geschichten von Lösungsansätzen stimulieren das Motivationszentrum des Gehirns, unsere Kreativität, unsere Vorstellungskraft. 

Es geht nicht darum, vor den Schwierigkeiten die Augen zu verschließen. Wir wissen um den Verlust der Artenvielfalt und um den Klimawandel. Aber mit unserem Projekt wollten wir etwas Hoffnung verbreiten, ein wenig Licht in die Dunkelheit bringen. Und es ist toll zu sehen, wie begeistert die Zuschauerinnen und Zuschauer jetzt bei den Filmvorführungen sind. Ich denke, ein Beispiel wie das des Seetangs kann viele dazu inspirieren, sich eine bessere Zukunft vorzustellen und selbst darauf hinzuarbeiten.

Seetang wächst schnell – und speichert dabei große Mengen an Kohlenstoff. Die Unterwasserwälder tragen damit auch erheblich zum Klimaschutz bei.

Roberts: Absolut! Einige Arten wachsen rund 60 Zentimeter pro Tag. Ein einziger Hektar Kelpwald kann jährlich bis zu 20 Tonnen Kohlendioxid aufnehmen – viel mehr als Regenwälder an Land.

Kein Warmduscher

Fotogalerie Tang, der Tausendsassa der Meere

Algen sind erstaunlich formenreich. Und vielseitig verwendbar - etwa als Nahrungmittel, Arznei, Treibstoff. Unterwasserfotograf Solvin Zankl hat sie für GEO porträtiert

Frau La Mantia, am Ende Ihrer Reise durften Sie dann tatsächlich selbst in einen Seetangwald abtauchen. Wie hat sich das angefühlt?

La Mantia: Es war verrückt! Wir sind vor einer kleinen, unbewohnten Insel getaucht. Die Strömung ist hier so stark, dass man nur im Gezeitenwechsel im Wasser sein kann, zwischen Ebbe und Flut. Wir hatten also nur 40 Minuten Zeit. Aber als wir in den Kelpwald hineingetaucht sind, war das so magisch, dass wir unser Limit ein wenig vergessen haben. Es ist eine unwirkliche Welt da unten. Viele Tierarten finden im Kelpwald Schutz: Fische, Krebse, Tintenfische. Am Ende sind wir mit der Strömung ins offene Meer hinausgetrieben. Zum Glück hat der Skipper unseres Segelbootes uns dann dort aufgelesen. Das war schon abenteuerlich. Aber es hat sich gelohnt!

Der Film "Kelp!" ist im aktuellen Programm der "International Ocean Film Tour" zu sehen. Termine und Tickets gibt es hier