Studie Europäer aßen jahrtausendelang Algen und Wasserpflanzen

Der Meersalat Ulva lactuca enthält viel Vitamin C, Proteine, Eisen und Jod
Der Meersalat Ulva lactuca enthält viel Vitamin C, Proteine, Eisen und Jod
© Efesan / Alamy / Alamy Stock Photos / mauritius images
In Teilen Asiens sind Wassergewächse Teil der Ernährung – in der westlichen Welt kaum. Das war jahrtausendelang anders. Ein Comeback der Wasserbewohner könnte unsere Ernährung nachhaltiger machen

Gesund und nährstoffreich: Algen und Wasserpflanzen gelten als nachhaltige Ernährung – gegessen werden sie aber hauptsächlich in Asien. Das war früher anders: Einem internationalen Forschungsteam zufolge wurden solche Meeres- und Süßwasserbewohner in weiten Teilen Europas über viele Jahrtausende verzehrt – von Südspanien bis zu den nordschottischen Orkney-Inseln.

Insgesamt gebe es weltweit Tausende Arten von Meeresalgen, aber nur etwa 145 würden als Lebensmittel genutzt, vor allem in Asien, schreibt die Gruppe um Karen Hardy von der Universität Glasgow im Fachblatt "Nature Communications". "Heutzutage sind Seetang und Süßwasserpflanzen in der traditionellen westlichen Ernährung praktisch nicht vorhanden", sagt Hardy. "Ihre allmähliche Marginalisierung von einem Lebensmittel zu einer Hungerhilfe und Tierfutter vollzog sich wahrscheinlich über einen langen Zeitraum."

Vor allem die Einführung der Landwirtschaft – der Anfang des Neolithikums – habe die Ernährung drastisch verändert. Diese begann demnach vor etwa 13.000 Jahren in Südwestasien, verbreitete sich in den folgenden Jahrtausenden nach und in Europa – und erreichte bis vor etwa 6000 Jahren Schottland. "Der Wechsel auf terrestrische Ressourcen zu Beginn des Neolithikums hat dazu geführt, dass Meeresressourcen später als Randerscheinung oder als Nahrung bei Hungersnöten betrachtet wurde", schreibt die Gruppe.

Aber zumindest in Teilen Europas wurden Wassergewächse noch bis ins Mittelalter gegessen. So beschreibt ein Text aus dem 6. Jahrhundert, der dem irischen Mönch Columban von Iona zugeschrieben wird, das Sammeln von Rotalgen. Und noch im 10. Jahrhundert regelten Gesetze in Island, Irland und Britannien das Sammeln von Seetang.

Zahnstein enthüllt Ernährungsgewohnheiten

Wie gängig Algen und Wasserpflanzen früher waren, schließt die Gruppe aus der Analyse von Zahnstein von 74 Menschen, deren Überreste zwischen den schottischen Orkney-Inseln im Norden und Südostspanien im Süden gefunden wurden – unter anderem in Portugal, Dänemark, Polen und Litauen. Bei 33 Menschen fand die Gruppe Stoffe, die Rückschlüsse auf bestimmte Lebensmittel erlaubten. In 26 dieser Proben ergaben die Analysen Rückstände von Algen oder Wasserpflanzen.

Hinweise auf Meeresalgen fand das Team in 13 Proben aus Spanien und Schottland, die bis zu 8000 Jahre alt waren. Rückstände von Süßwasserpflanzen – vermutlich etwa Laichkräuter und Seerosengewächse – tauchten ebenfalls in bis zu gut 8000 Jahre alten Proben aus Portugal, Litauen und ebenfalls Schottland auf.

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"Die Beständigkeit und Häufigkeit unserer Belege deuten darauf hin, dass die Nutzung von Seetang als Nahrung in Europa im Mesolithikum und bis ins Neolithikum weit verbreitet war, mit noch weiterreichenden Hinweisen auf Süßwasserpflanzen", scheibt die Gruppe. Meeresalgen wurden erwartungsgemäß eher in küstennahen Arealen verzehrt, Süßwasserbewohner dagegen eher im Inland.

Die Gruppe betont, dass Seetang – vor allem Rotalgen – viele Aminosäuren enthält. Grüne Algen seien reich an mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Ein Comeback der alten Tradition böte dem Forschungsteam zufolge gesundheitliche und auch ökologische Vorteile: "Unsere Studie unterstreicht das Potenzial für die Wiederentdeckung alternativer, lokaler und nachhaltiger Nahrungsressourcen", heißt es. "Diese könnten dazu beitragen, die negativen Gesundheits- und Umweltfolgen der Abhängigkeit von einer kleinen Zahl massenhaft produzierter Agrarprodukte anzugehen, die die heutige westliche Ernährung dominieren."

Walter Willems

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