
Auslese in Eiseskälte
Um geeignete Kristalle für seine Sammlung zu "ernten", wie Bentley es formulierte, hatte er sich ein ausgeklügeltes Verfahren ausgedacht. Bei Schnee stellte er sich an die offene Tür seines eiskalten Fotografierzimmers. Ein kleines, schwarz gestrichenes Holzbrett diente zum Auffangen der Flocken, Bentley hielt es an seitlich angebrachten Drähten, um das Holz nicht versehentlich mit seinen Händen zu erwärmen. Sobald einige weiße Kristalle auf dem schwarzen Untergrund gelandet waren, inspizierte er sie – immer auf der Suche nach neuartigen Formen und schönen, komplexen Mustern. Ungeeignete "Fänge" bürstete er mit einer Truthahnfeder von der Holztafel. Ein interessantes Kristall aber legte er auf einen gläsernen Objektträger, um es zunächst unter dem Mikroskop auf seine Fototauglichkeit hin zu inspizieren und bei Gefallen abzulichten. Aber wie transportiert man eine solch empfindliche Winzigkeit vom Holzbrett auf den Glasträger? Bentley tupfte die Spitze eines millimeterdünnen Holzstäbchens genau in die Mitte des Schneekristalls und hob es so an. Eine im wahrsten Sinne des Wortes atemraubende Arbeit: Denn auf keinen Fall durfte er über dem Kristall ausatmen – sofort wäre es durch die Wärme zerstört worden. Dass ihm bei aller Vorsicht mitunter perfekte Kristalle zerbrachen, bevor er sie fotografieren konnte, machte ihm noch Jahre später zu schaffen: "Eine Tragödie! Es bringt mich jetzt fast noch zum Weinen."
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