GEO: Frau Dr. Jaschke, Sie bieten im Römisch-Germanischen Museum Köln unter anderem Führungen zum Thema "Römer und Nachhaltigkeit" an. Was bekommt man dabei als Gast zu sehen?
Dr. Kathrin Jaschke: Zum Beispiel eine Vitrine voller Müll.
Müll?
Ja, Müll aus dem Hafen des römischen Köln. Eine Müllabfuhr gab es in der Antike nicht, die Menschen durften ihren Abfall aber auch nicht einfach auf die Straße werfen. Am Hafen dagegen wurde Zeug ohne Ende reingekippt: Schlachtabfälle, Keramikscherben, Glasreste von kaputten Gefäßen, Holzabfall von Fensterrahmen.
Und was verrät der Müll über Nachhaltigkeit bei den Römern?
Dass Dinge erst dann weggeschmissen wurden, wenn sie wirklich unwiederbringlich kaputt waren. Metalle wurden wieder eingeschmolzen und umgearbeitet, kaputtes Glas ebenfalls. Auch Holz wurde oft umgemodelt. Was Recycling angeht, waren die Römer durchaus kreativ: Wir haben aus Köln eine Ölamphore, die zu einem Urinal umfunktioniert wurde. Das heißt, Handwerker haben ein Loch in das Gefäß geschlagen, und dann konnte ein Gerber es vor seiner Werkstatt an der Straße als öffentliches Urinal platzieren. Aus Urin wurde etwa Ammoniak zum Bleichen hergestellt.
Sehr praktisch. Aber macht das die Kultur der Römer nachhaltig?
Nein, den Römern ging es nicht darum, Ressourcen und Natur zu schonen. In ihrer Zeit war die Beschaffung von neuen Dingen sehr viel aufwendiger und teurer als für uns heute. Um Geld zu sparen, haben sie alles, was sich irgendwie reparieren ließ, wiederverwendet.
Ist dieser Gedanke, Materialien möglichst lange zu nutzen, auch der Grund dafür, warum die Römer Gebäude bauten, die seit 2000 Jahren stehen?
Zunächst einmal errichteten die Römer auch marode Mietskasernen, die nicht selten in sich zusammenfielen. Nicht alle Gebäude waren für die Ewigkeit gedacht. Bei den repräsentativen öffentlichen Gebäuden, aber auch bei Infrastrukturprojekten wie Straßen und Aquädukten dachten die Römer praktisch: Ein solider, belastbarer Bau bedeutete, dass er nicht ständig repariert werden musste. Man hat also am Anfang mehr investiert, um länger etwas von dem Bauwerk zu haben. Tempel wurden aber schon mit dem Anspruch errichtet, für die Ewigkeit zu halten.
Hatten die Römer bei allem Kosten-Nutzen-Denken trotzdem so etwas wie ein Umweltbewusstsein?
Sagen wir so: Die Römer waren sich ihrer Umwelt bewusst. Für die Stadt-Römer war die ländliche Idylle ein Ideal: ruhig und besinnlich. Gute Natur war für sie allerdings nur unterworfene, beherrschte Natur wie in Gärten. Denn auf dem Land konnte es immer gefährlich sein: Heute diskutieren wir kontrovers über Wölfe – für die Römer waren solche und andere Gefahren völlig normal. Sie hatten das Gefühl, dass die übermächtige Natur stärker war als sie und dementsprechend auch nicht geschützt werden müsse.
Die Römer griffen großflächig in die Natur ein. Sie benötigten zum Beispiel jede Menge Bauholz, auch die Glasöfen, Ziegeleien und Thermenanlangen verschlangen Material. War den Menschen bewusst, dass die Ressourcen der Natur endlich sind?
Der Ressourcenverbrauch war tatsächlich riesig. Für die Holz-Erde-Mauer eines Militärlagers für 5000 Soldaten mussten 13.000 Eichen gefällt werden. Die Wissenschaft geht davon aus, dass zum Beispiel die Eifel in römischer Zeit weniger bewaldet war als heute. Natürlich fiel den Römern auf, dass die Wälder lichter wurden. Aber sie haben einfach längere Transportwege in Kauf genommen oder schlicht die Baumarten gefällt, die noch vorhanden waren. Es gibt keine schriftlichen Quellen über Aufforstungsprojekte. Auch den Gedanken, dass Ressourcen der Natur endlich sind und geschont werden müssen, können wir in der Wissenschaft nicht fassen. Aus Sicht der Römer gab es ja noch ausreichend Natur um sie herum.
Welche Umweltschäden haben die Römer noch bemerkt?
Bodenerosion durch Holzeinschlag oder Überweidung. Die Folge waren rutschende Hänge und Schäden für die Landwirtschaft. Die Römer brachten Erosion in Zusammenhang mit kompletter Entwaldung von Hängen, trafen aber keine Gegenmaßnahmen. Allerdings waren die betroffenen Gebiete noch recht überschaubar.
Berüchtigt war der Bedarf der Römer an Wildtieren für Schaukämpfe in Amphitheatern. Wie hat sich diese Jagd auf Tierpopulationen ausgewirkt?
Die Römer haben etwa den Asiatischen Löwen in Griechenland ausgerottet. Auch Flusspferde und Nashörner haben sie an dem von ihnen beherrschten Teil des Nils so lange gejagt, bis es dort schlicht keine Populationen mehr gab. Übrigens haben die Römer auch Pflanzenarten ausgerottet: Die Gewürz- und Heilpflanze Silphium, die im heutigen Libyen gedieh, war so begehrt, dass sie im 1. Jahrhundert irgendwann einfach nicht mehr gefunden werden konnte.
Die Römer im Museum
Das Römisch-Germanische Museum in Köln zeigt das archäologische Erbe der Stadt und des Umlandes. Es beherbergt Funde aus mehr als 100.000 Jahren rheinischer Siedlungsgeschichte, von der Altsteinzeit bis in das frühe Mittelalter. Die Stadt Köln wurde von Kaiser Augustus gegründet; fast fünf Jahrhunderte lang blieb sie römisch. Deshalb sind im Museum zahlreiche Exponate aus römischer Zeit zu sehen, darunter Glasgefäße, Terrakotta-Plastiken und Töpfer-Arbeiten. Zum Angebot gehören auch Führungen über römische Götter- und Heldengeschichten, Philosophie und Wandmalereien.
Gab es in der Antike auch Persönlichkeiten, die die Ausbeutung natürlicher Ressourcen anprangerten?
Der bekannteste ist der Historiker Plinius der Ältere. Er kritisierte, dass seine Landsleute auf der Suche nach Rohstoffen in den "Eingeweiden" von "Mutter Natur" wühlen würden. Der Mensch, so schrieb Plinius, fordere mit seinem Handeln die Natur heraus. Dazu muss man sagen, dass es Plinius in seiner Schrift wohl weniger um den Schutz der Natur ging. Vielmehr wollte er vor allem die Habgier anprangern, die er bei seinen Zeitgenossen konstatierte.
Lässt sich dann überhaupt etwas von den Römern in Sachen Nachhaltigkeit lernen, mal vom Recycling-Gedanken abgesehen?
Die Römer taugen in dieser Hinsicht in erster Linie als Negativbeispiel. Sie zeigen uns, wie lange wir schon Raubbau an der Natur betreiben. Die Römer haben selbst festgestellt, dass sie Wälder, Pflanzenarten und Tierpopulationen in großem Umgang dezimieren – und ihr Verhalten trotzdem nicht geändert, weil sie auf bestimmte Produkte oder Lebensgewohnheiten nicht verzichten wollten. Das kommt uns doch heute noch bekannt vor. Insofern kann uns der Umgang der Römer mit der Natur zum Nachdenken anregen.