Auf den ersten Blick wirkt der Autobahnparkplatz unauffällig: ein 100 Meter langer, von Kiefern, kahlen Birken und Eichen gesäumter Fahrstreifen, keine Raststätte, keine Toiletten. Doch es ist gerade das Unscheinbare, auf das die Volkspolizisten achten, die an diesem regnerischen Wintermorgen des 5. Dezember 1975 hier ihren Streifenwagen stoppen.
Ihr Auftrag lautet, Vergehen aufzuspüren, die man leicht mit Alltäglichkeiten verwechseln könnte und die nur in dieser eigentümlichen Zwischenwelt überhaupt denkbar sind. An keinem anderen Ort kommen West- und Ostdeutsche einander so nahe wie hier – und müssen gleichzeitig so streng Abstand voneinander halten: an den Transitstrecken durch die DDR.
Auf dem Parkplatz bei Lehnin, südwestlich von Potsdam, sind Dinge verboten, von denen in München, Hannover oder West-Berlin niemand auch nur Notiz nehmen würde: Unerwünscht ist zum Beispiel, dass eine Autofahrerin etwa aus Köln sich mit einem Autofahrer aus Magdeburg unterhält. Verboten ist, dass sie ihm eine Ausgabe der "Bild" oder des "Spiegel" übergibt. Besonders streng verboten wäre es, wenn der Magdeburger zu der Kölnerin ins Auto stiege und mit ihr die Deutsche Demokratische Republik verließe. All das sollen die Streifenpolizisten verhindern.
Was die Männer jedoch an diesem Morgen in westlicher Fahrtrichtung bei Kilometer 4,5 zwischen den Bäumen entdecken, ist entsetzlich: Auf der feuchten, graubraunen Erde liegt etwas. Besser gesagt: jemand. Der nackte Körper einer Frau, bäuchlings, von den Schultern bis zu den Oberschenkeln mit einem Kunststoffsack bedeckt.