Weltraumwetter Orkane aus dem All: Was Sonnenstürme für unser Leben auf der Erde bedeuten

Sonnenstürme im Anmarsch: Die Sonne mit wirbelartigen Formen auf der Oberfläche
Die Sonne ist in ständiger Bewegung: Plasmaströme in ihrem Innern erzeugen gewaltige Sonneneruptionen, die geladene Partikel ins All schleudern und Sonnenstürme gen Erde schicken. Diese hier wurden vom Solar Dynamics Observatory der Nasa im Oktober 2014 dokumentiert 
© NASA / SDO
Fegen Sonnenstürme über die Erde, können sie Teile unserer technisierten Welt lahmlegen. Doch wie entstehen die Teilchenströme aus dem All? Und warum haben sie mitunter solch fatale Folgen für das Leben auf der Erde? 

Vom schwersten jemals aufgezeichneten Sonnensturm berichten Augenzeugen wie von einem Wunder. In den Rocky Mountains beispielsweise sei es so hell gewesen, dass die Menschen nachts Zeitung lesen konnten. Kubanerinnen und Kubaner beschrieben ihren Himmel als "blutbefleckt". Und auch über Rom, Hawaii oder Bamberg flackerten in jenem Herbst 1859 Polarlichter in grünen und violetten Farbtönen.

Das "Carrington-Ereignis" war die Folge zweier heftiger Sonnenstürme, die kurz hintereinander über die Erde fegten. Benannt wurden sie nach dem Amateur-Astronomen Richard Carrington, der in jenen Tagen die Sonne beobachtete und zwei grelle Lichtblitze dokumentierte. Doch wo Carrington selbst einen Zusammenhang lediglich vermuten konnte, weiß die Wissenschaft heute sehr genau, was geschieht, wenn die Sonne ihre Teilchen in großer Zahl gen Erde schickt. 

Der Beginn eines Sonnensturms: Teilchenströme machen sich auf den Weg zur Erde 

Alles beginnt mit großen Massenauswürfen an der Sonnenoberfläche. In der obersten Schicht unseres Zentralgestirns, der etwa 21.000 Kilometer tiefen Konvektionszone, rotiert Sonnenplasma je nach Breitengrad mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. In den darunter liegenden Schichten hingegen geht es einigermaßen ruhig zu: Dort zirkuliert das Plasma im Gleichtakt. 

Diese unterschiedlichen Plasmabewegungen erzeugen große Magnetfelder, oftmals mit entgegengesetzter Polarität. Entladen sich diese, kracht es. Explosionen, begleitet von energiereicher UV- und Röntgenstrahlung, erzeugen gewaltige koronale Massenauswürfe (CME genannt: Coronal Mass Ejection). Energiegeladene Teilchen werden ins Weltall geschleudert und machen sich mit bis zu 3000 Kilometern pro Sekunde auf den Weg Richtung Erde. 

Die beiden Bilder der Animation hat die ESA-Sonde "Solar Orbiter" aufgenommen: Sie macht ultraviolettes Licht und damit die obere Atmosphäre der Sonne sichtbar. Die linke Aufnahme stammt vom Februar 2021 und zeigt die Sonne ein gutes Jahr nach dem Minimum ihrer Aktivität. Das rechte Bild von der Sonnenatmosphäre im Oktober 2023 dokumentiert die Zunahme der dunklen Sonnenflecken, Plasmaschleifen und Wirbel aus superheißem Gas. Im Schnitt alle elf Jahre erreicht die Sonnenaktivität ein Maximum, das nächste erwarten Forschende im Jahr 2025. 

Trifft ein Sonnensturm die Erde, verformt er deren Magnetfeld 

Dass die Sonne energiegeladene Teilchen gen Erde schickt, ist nicht außergewöhnlich, im Gegenteil. Zwischen beiden Himmelskörpern besteht ein permanenter Teilchenstrom, von dem wir auf der Erde in der Regel jedoch nichts mitbekommen: die Sonnenwinde. Auch sie rasen mitunter mit 400 Kilometern pro Sekunde auf die Erde zu, treffen dort auf unser Magnetfeld und stauchen es. Auf der Tagseite wird das Magnetfeld zusammengedrückt, auf der sonnenabgewandten Seite ragt es weit in den Weltraum hinaus.

Entlang der nun gestauchten Feldlinien des Erdmagnetfeldes fließen die Elektronen in Richtung der Polregionen der Erde. Dabei bewegen sie sich in Spiralbahnen um die Feldlinien herum, kollidieren mit Sauerstoffatomen und Stickstoffmolekülen der Erdatmosphäre und bringen sie zum Leuchten: Polarlichter entstehen

Auf der Erde können Sonnenstürme zu Stromausfällen führen und Züge lahmlegen

Trifft ein Sonnensturm auf die Erde, wird das Erdmagnetfeld deutlich stärker geknautscht. Dann wandern die Elektronen auch in äquatornähere Breitengrade und erzeugen dort Polarlichter. 

Je stärker der Sonnensturm, desto gefährlicher wird es jedoch zugleich für die Menschen auf der Erde. Nicht etwa, weil die Stürme per se eine körperliche Gefahr für sie darstellten: Vielmehr könnten sie große Teile unserer technisierten Welt lahmlegen. 

Eine Grafik zeigt die Erde und ihr Magnetfeld sowie Sonnenstrahlen, die darauftreffen
Das Erdmagnetfeld lenkt die meisten Teilchen, die als Sonnenwind auf den Planeten zurasen, ins All. Viele Elektronen jedoch wandern entlang der Feldlinien in Richtung der Pole, treffen dort auf Atmosphärenteilchen und erzeugen ein magisches Leuchten: Polarlichter
© Ikon Images / imago images

Denn wächst ein Sonnenwind zu einem Sturm heran, verstärken sich auch die elektrischen Ströme in unserer Magnetosphäre. Deren Fluktuation führt zu ständig wechselnden Magnetfeldern, die wiederum Spannungsunterschiede auf der Erdoberfläche erzeugen. 

Diese müssen ausgeglichen werden: Elektrischer Strom fließt und sucht sich bekanntlich den Weg des geringsten Widerstands. Als eine Schwachstelle gelten etwa die Hochspannungstransformatoren der Stromnetze. Über deren Erdungskabel könnten heftige elektrische Ströme einfließen, sie beschädigen und für Stromausfälle sorgen, von denen ganze Landstriche betroffen wären. 

Ende der 1980er-Jahre knipste ein Sonnensturm in Kanada die Lichter aus

Als 1859 das "Carrington-Ereignis" über die Erde fegte, gab es zwischen Nordamerika und Europa ein einziges Telegrafenkabel. Als jedoch im Mai 1921 ein weiterer großer Sonnensturm auf die Erde traf, waren die Folgen in Nordamerika gewaltig. Züge standen still, Telefonstationen brannten, Telegrafendienste brachen zusammen. Darüber: Polarlichter. 

Vermutlich waren die Teilchenströme von drei koronalen Massenauswürfen unmittelbar hintereinander auf die Erde getroffen und hatten ausgelöst, was später als "New York Railroad Storm" in die Geschichte einging – die gesamte Signal- und Schaltanlage der New York City Railroad war ausgefallen, dazu brach ein Feuer in einem der Kontrolltürme aus. 

Als im März 1989 ein weiterer heftiger Sonnensturm über die Erde fegte, fiel in Teilen Kanadas der Strom aus: Neun Stunden lang waren sechs Millionen Menschen davon betroffen. Nach Angaben der American Electric Reliability Coroporation hatte das Ereignis einen Stromtransformator beschädigt.  

Heute hätte ein heftiger Sonnensturm wohl noch gravierendere Folgen: Laut einer jüngst im Fachmagazin "Space Weather" erschienenen Studie könnten die Signalanlagen im Zugverkehr gestört werden: Ampeln sprängen plötzlich von Rot auf Grün. Auch Handynetze brächen zusammen und das GPS-Signal würde versagen. Kühlketten wären unterbrochen, elektronische Überweisungen würden gestört. 

Eine Zivilisation, die sich daran gewöhnt hat, zu jeder Zeit und an jedem Ort in Echtzeit zu kommunizieren und Handel zu betreiben, stünde vor großen Problemen. 

Warnungen vor dem Sonnensturm: Exakte Vorhersagen sind kaum möglich

Dass die Sonnenaktivität einem Zyklus folgt, der im Schnitt alle elf Jahre ein Maximum erreicht, wissen die Forschenden längst. Dass sich große Massenauswürfe in der Zeit kurz nach dem Maximum häufen, ebenfalls. Langfristig im Vorfeld zu berechnen, wann und wo es zu einem Auswurf kommt, ist jedoch nicht möglich. 

Auch deshalb beobachten Forschende die Sonne sehr genau. Sonden wie die "Parker Solar Probe", die es 2021 sogar in die Sonnenatmosphäre geschafft hat, und die ESA-Sonde "Solar Orbiter" erforschen und kartografieren ihre Oberfläche. Satelliten überwachen kontinuierlich ihre Bewegungen und die Temperatur. 

Sonneneruptionen: Ungewöhnliche Aktivität der Sonne: Dieses Video zeigt sieben Tage im Zeitraffer
Ungewöhnliche Aktivität der Sonne: Dieses Video zeigt sieben Tage im Zeitraffer
© Courtesy of NASA/SDO and the AIA, EVE, and HMI science teams

Das vom Solar Dynamics Observatory aufgenommene Video zeigt die Sonnenaktivität Anfang Februar 2023 im Zeitraffer. Zu sehen sind unter anderem Sonneneruptionen und koronale Massenauswürfe

Sobald große dunkle Flecken, Sonnenflecken genannt, auf der Oberfläche unseres Zentralgestirns auftauchen, deutet das auf große Magnetfelder und eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für koronale Massenauswürfe hin. So veröffentlicht etwa das US-amerikanische Space Weather Prediction Center stets aktuelle Berichte zur Sonnenaktivität. Weil sich die Geschwindigkeit des Plasmastroms auf dem Weg zur Erde jedoch verringert und eine lückenlose Überwachung unmöglich ist, lässt sich nur schwer voraussagen, wann genau ein Sonnensturm mit welcher Stärke auf die Erde trifft – und in welchen Regionen er für Schäden sorgen könnte.