Astronomie Nur eine Galaxie unter vielen: Als Hubble die Grenzen des Universums sprengte

Edwin Hubble sitzt auf einem Stuhl und benutzt das 100 inch Hooker Teleskop
Edwin Hubble am Mount Wilson Observatory in Kalifornien. Der Name des berühmten Astronomen stand später Pate für das Hubble-Weltraumteleskop
©  Alamy Stock Photos / Pictorial Press / mauritius images
Vor einhundert Jahren, im Januar 1925, stellte Edwin Hubble unser Weltbild auf den Kopf. Die Milchstraße sei nicht die einzige Galaxie, verkündete der Astronom, das Universum größer als gedacht. Mit seiner Entdeckung entschied Hubble einen großen Streit

Am 26. April 1920 kommt es im Museum of Natural History in Washington zu einem Schlagabtausch, der als die "Große Debatte" in die Astronomiegeschichte eingehen wird. Zwei Größen des Fachs streiten öffentlich über eine gewichtige Frage: Wie groß ist die Milchstraße? Und damit zusammenhängend: Existiert noch etwas außerhalb von ihr?

Der Disput entzündet sich an Himmelskörpern wie dem Andromedanebel, der anders als die Sterne kein einzelner heller Punkt am Firmament ist, sondern ein Fleck, der bei genauem Hinsehen eine Spiralstruktur offenbart. Schon der junge Immanuel Kant spekulierte 1755 in seiner "Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels", diese und andere Nebel seien eigenständige "Weltordnungen" wie die Milchstraße. Eine Idee, die ihrer Zeit zu weit voraus ist. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts herrscht in der Astronomie die Lehrmeinung, dass die Milchstraße als Galaxie einzigartig sei. Wenn die Erde schon nicht mehr das Zentrum des Sonnensystems bilde, wie Kopernikus einst erkannt hatte, dann stehe zumindest die Sonne im Zentrum aller Sterne. Doch diese Weltsicht wird zunehmend schwierig zu halten.

An jenem Abend in Washington diskutieren vor Publikum die Astronomen Harlow Shapley und Heber Doust Curtis. Shapley argumentiert, dass die Spiralnebel eher klein und uns nahe seien, sie befänden sich innerhalb der riesigen Milchstraße. Unsere Galaxie sei mit dem ganzen Universum gleichzusetzen. Allerdings befände sich die Sonne nicht in ihrem Zentrum. 

Sein Kontrahent, Heber Doust Curtis, verortet die Sonne weiterhin nahe des Zentrums. Allerdings sei die Milchstraße kleiner als von Shapley angenommen. Die Spiralnebel hingegen seien weit entfernt und riesig, sie seien eigenständige Sterneninseln. 

An diesem Abend zeigt sich: Die Astronomie könnte vor einem Wendepunkt stehen. Und dieser kommt schneller, als das Publikum wohl ahnt.  

Die Menschheit rückt immer weiter aus dem Zentrum

Ein Jahr später scheint es, als solle Shapley Recht behalten. Seine Messungen am Mount Wilson Observatory in Kalifornien zeigen, dass die Sonne weit vom Zentrum der Milchstraße entfernt ihre Bahn zieht. Hatte Kopernikus die Erde aus dem Zentrum des Universums verstoßen, tut Shapley das Gleiche nun mit der Sonne.

Doch letztlich geht Shapley als Verlierer aus der Debatte. Denn zur gleichen Zeit arbeitet ebenfalls am Mount Wilson Observatory der noch junge Astronom Edwin Hubble. Mit dem damals größten Teleskop der Welt belichtet er immer wieder Fotoplatten mit Aufnahmen von Andromeda. 1923 macht er darin eine Reihe von Cepheiden aus, besonderen Sternen, deren Helligkeit regelmäßig schwankt. 

Das Hooker-Teleskop am Mount Wilson Observatory war das größte seiner Zeit. Der Stuhl, auf dem Hubble bei seinen Beobachtungen saß, steht links auf einer Erhöhung
Das Hooker-Teleskop am Mount Wilson Observatory war das größte seiner Zeit. Der Stuhl, auf dem Hubble bei seinen Beobachtungen saß, steht links auf einer Erhöhung
© Edison Hoge / Courtesy of the Observatories of the Carnegie Institution for Science Collection at the Huntington Library, San Marino, California

Die Astronomin Henrietta Swan Leavitt hatte entdeckt, wie sich die Entfernung solcher Sterne bestimmen lässt. Aus der Periodendauer, mit der die Helligkeit schwankt, lässt sich auf die Leuchtkraft eines Cepheiden schließen. Aus dem Wissen, wie viel Licht der Stern aussendet, und der Beobachtung, wie viel Licht auf der Erde noch ankommt, ergibt sich, wie weit er entfernt ist.

Hubble bestimmt mit Leavitts Methode die Entfernung verschiedener Cepheiden aus dem Andromedanebel und anderer Spiralnebel. So groß ist ihr Abstand zur Erde, dass die Kalkulationen nur eine Schlussfolgerung erlauben: Andromeda ist kein Nebel innerhalb der Milchstraße, sondern eine eigenständige Galaxie. Das Universum ist unvorstellbar viel größer als erahnt, und es ist erfüllt von vielen Sterneninseln.

Am 23. November 1924 erscheint die Sensation in der "New York Times". Für den Narzissmus der Menschheit ist sie eine weitere Kränkung. Nicht die Erde, nicht die Sonne, nicht einmal die Milchstraße bildet das Zentrum des Universums. Unser Planet nimmt im gigantischen kosmischen Schauspiel nur einen unbedeutenden Randplatz ein.

Auftakt für eine noch größere Entdeckung

Um die Jahreswende 1924/25 stellt Hubble auf einer Konferenz der American Astronomical Society seine Ergebnisse vor. Sie überzeugen selbst Shapley, dem Hubble seine Messdaten schriftlich geschickt hatte. Zu einem Kollegen sagt Shapley: "Dies ist der Brief, der mein Universum zerstört hat."

Hubbles Entdeckung bildet den Startschuss für revolutionäre Jahre in der Astronomie. Bis 1929 vermisst Hubble viele weitere Galaxien und beobachtet, dass sie rötlich leuchten, und zwar umso stärker, je weiter sie von uns entfernt sind. Doch er begreift nicht, was das bedeutet. 

Erst der belgische Priester und Physiker Georges Lemaître zieht die richtigen Schlüsse: Die Galaxien wirken rötlich, weil sie sich von uns zu entfernen scheinen. Das Universum dehne sich aus, woraus wiederum folgt, dass es sich einst auf engstem Raum zusammenballte. Es ist die Entdeckung des Urknalls, die später fälschlicherweise oft Hubble zugeschrieben wird.

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Frauen kartografierten den Himmel, erklärten kosmische Anziehungskräfte, erforschten die Zeit nach dem Urknall. Der Ruhm für die bahnbrechenden Ergebnisse ihrer Forschung blieb vielen jedoch verwehrt. Mehr noch: Ausnahmslos alle Himmelsforscherinnen stießen auf den Widerstand männlicher Kollegen – und dieser nahm teils groteske Züge an

Heute wissen wir, dass im Universum bis zu zwei Billionen Galaxien existieren. Unsere Milchstraße ist mit ihrer Spiralform ein ziemlich typischer Vertreter, ebenfalls mit dem Schwarzen Loch, das in ihrem Zentrum sitzt. Damit sind sie und ihre Nachbargalaxien aber noch lange nicht auserforscht. 

Wie zur Feier der 100-jährigen Jubiläums haben Forschende in dieser Woche die erste Nahaufnahme eines Sterns außerhalb der Milchstraße veröffentlicht. Fotografiert haben sie einen Roten Überriesen namens WOH G64, der 160.000 Lichtjahre von der Milchstraße entfernt in der Großen Magellanschen Wolke sitzt. Statt wie üblich nur einen punktförmigen Stern zeigt das Foto einen hellen Fleck mit einer eiförmigen leuchten Hülle.