GEOplus: Frau Professorin Weichold, wie sollten Eltern damit umgehen, wenn ihre pubertierenden Kinder Grenzen überschreiten, sich etwa betrinken oder die Familie wüst beschimpfen?
Karina Weichold: Das kommt natürlich auf den Einzelfall an. Aber generell rate ich Müttern und Vätern zu einer gewissen Gelassenheit – und dazu, sich an die eigene Jugend zu erinnern. Schließlich sind die Eltern ja auch einmal jung gewesen. Aber es gibt das interessante Phänomen, dass die meisten Menschen in Bezug auf ihre eigene Pubertät offenbar an vollkommener Amnesie leiden. Oft stellt sich heraus, dass sie selber früher streitfreudig waren, aufmüpfig, zu vielen Exzessen bereit. Und die wenigsten Erwachsenen würden heute behaupten, dass die gelegentliche Grenzüberschreitung, die Provokation, Lust am Risiko ihnen auf dem weiteren Weg geschadet haben.
Weshalb neigen Jugendliche dazu, Grenzen zu überschreiten?
Die eigentliche Pubertät, also der Prozess, der zur körperlichen Geschlechtsreife führt, ist oft relativ früh abgeschlossen, bei manchen bereits mit 13 Jahren. Das bedeutet: Viele Jugendliche sehen sehr früh sehr erwachsen aus, ihnen wird in diesem Alter aber noch gar keine Erwachsenenrolle zugestanden. Bis sie Verantwortung übernehmen, selbstbestimmt handeln können, vergehen weitere zehn bis 15 Jahre.
Diese Lücke zwischen dem "sich schon wie ein Erwachsener fühlen", aber "noch kein Erwachsener sein dürfen" führt bisweilen dazu, dass Teenager einen übergroßen Drang verspüren, nicht mehr brav und angepasst zu sein. Und so schlagen sie über die Stränge, trinken mehr Alkohol, als ihnen guttut, verschaffen sich lautstark Gehör, experimentieren mit Drogen.