Sexualität Phänomen Lustschmerz: Warum manche Menschen körperliche Qualen genießen

Hand krallt sich in weisses Bettlaken
Schmerzempfinden: Wenn sich eine Hand in die Bettdecke krallt, müssen keine unangenehmen Gefühle im Spiel sein 
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Unter allen Umständen versuchen wir, Schmerzen zu vermeiden. Unter allen? Im Kontext von Sex genießen es manche Menschen sogar, heftig gepeinigt zu werden. Wie ist das möglich? Und welche Ursache haben solche Wünsche? 

Das Verlangen, körperlich gequält zu werden, zählt zu den eher schwer nachvollziehbaren Begierden des Menschen. Dabei ist der Wunsch nach Erniedrigung und Schmerz bei Weitem keine Seltenheit: Nicht wenige Frauen und Männer empfinden Schläge, Bisse, Kratzer oder Peitschenhiebe im Rahmen sexueller Handlungen als eine intensive Steigerung ihrer Lust. 

Das mag insofern verwundern, als Schmerz evolutionär gesehen eine Information ist, die uns vor Gefahren warnt. Drückt etwa ein schmaler, spitzer Gegenstand so fest auf unsere Haut, dass er den Körper zu beschädigen droht, senden spezielle Nervenendigungen (sogenannte Nozizeptoren) Signale über das Rückenmark ins Gehirn, wo ein unangenehmer Eindruck entsteht. Als Reaktion darauf versuchen wir, das entsprechende Körperteil in Sicherheit zu bringen.

Verständlich also, dass Schmerzsignale eigentlich hochgradig unerwünscht und negativ besetzt sind. Interessanterweise ist dies auch bei Menschen der Fall, die Hiebe oder Kniffe in bestimmten Situationen als genussvoll erleben. Auch sie finden Schmerz als rein körperliches Signal nicht erstrebenswert. Wenn der Zahnarzt den Kiefer aufbohrt, sind sie genauso gestresst wie andere auch. 

Niemand verwandelt Schmerz in Lust

Wer masochistische Neigungen hat, ist also nicht etwa in der Lage, Schmerzen auf Knopfdruck in Lust zu verwandeln. Vielmehr findet bei diesen Menschen im Kontext von Sex eine massive Verschiebung der Wahrnehmung im Gehirn statt. Und die lässt sich sogar mit einem Magnetresonanztomographen messen. Vor einigen Jahren fanden Forschende der Universität Harvard auf diese Weise heraus, dass bestimmte Schmerzen das hirninterne Belohnungssystem aktivieren können. Das bedeutet: Im Moment einer Verletzung waren bei Probanden Hirnareale involviert, die sich sonst in eher vergnüglichen Situationen regen.

Der Wunsch nach körperlicher Qual im sexuellen Zusammenhang könnte demnach in der menschlichen Neurobiologie begründet sein. Das erscheint auch deshalb plausibel, weil sexuelle Erregung eines gewissen Maßes an psychophysischer Aktivierung bedarf. Schmerzreize können also in bestimmten Dosen förderlich für die Sexualität sein, indem sie den Körper gleichsam in Wallung versetzen: Die Herzfrequenz steigt, der Atem geht schneller. Bei manchen Menschen mag dieser Zusammenhang stärker ausgeprägt sein als bei anderen.

Auch Tiere quälen einander beim Akt

Dass körperliche Pein dem Geschlechtsakt zum Erfolg verhilft, ist auch aus dem Tierreich bekannt. Katerpenisse etwa sind mit kleinen Stacheln versehen. Diese fügen der Katze bei der Paarung Schmerzen zu, worauf sie sehr aggressiv reagiert. Durch den Schmerzreiz wird der Eisprung ausgelöst – so kommt es zur Befruchtung. Hai-Männchen bringen durch wiederholtes Beißen das Weibchen in die richtige Position. Das Weibchen reagiert während des Aktes ebenfalls durch Bisse. Beide Partner tragen mitunter schwere Verletzungen davon.

Solche Beispiele mögen zu der Annahme verleiten, dass sich in sadomasochistischen (SM) Praktiken wie Bondage oder Auspeitschen besonders animalische, triebhafte Formen von Sexualität offenbaren. Doch das Gegenteil ist der Fall. SM-Sex findet gerade nicht wild und ungestüm statt, sondern ist hoch ritualisiert. Die Beteiligten müssen einander absolut vertrauen können, und der sich unterordnende Partner muss jederzeit die Möglichkeit haben, abzubrechen. Er will sich schließlich nicht ernsthaft in Gefahr begeben, das Ganze ist letztlich nur ein Spiel. 

Erregung erhöht die Schmerztoleranz

So gesehen unterwirft sich der passive Part nur scheinbar: Er behält die Kontrolle, kann sich angstfrei ausleben und selbst bestimmen, wann seine Schmerzgrenze erreicht ist. Dies ermöglicht es, auch heftigsten Schmerz zu tolerieren – und letztlich zu genießen. Zumal Erregung die Schmerztoleranz noch erhöht. 

Und eine Verschiebung der Wahrnehmung beim Sex ist schließlich auch in anderen Fällen durchaus nicht ungewöhnlich: Zum Beispiel wenn es um Schweiß oder Speichel geht. Sonst eher abstoßend, können die Körpersäfte des Partners beim Sex einen unwiderstehlichen Reiz entfalten.