Gerade gegen Ende des Jahres wünschen sich viele von uns, ein wenig Geschwindigkeit aus dem Leben zu nehmen. Durchatmen, sich treiben lassen, schwerelos werden – nach anstrengenden Monaten üben wir in der Weihnachtszeit den Ausstieg aus Hektik und Effizienz-Dasein. Doch das Talent zur Ruhe wiederzufinden, ist oft gar nicht so einfach.
Geistige Versenkung mit sanfter Bewegung verknüpfen
Die gute Nachricht lautet: Um loszulassen und gedanklich abzuschalten, muss man dem Tempo des Alltags nicht völligen Stillstand entgegensetzen. Vielmehr kann auch Bewegung dabei helfen, ein Gefühl der Entschleunigung, der achtsamen Kontrolle zurückzugewinnen. Vor allem aus Asien stammen Techniken, die geistige Versenkung mit langsamer und sanfter Aktivität verknüpfen – etwa Yoga, Tai-Chi und Qigong. Die dabei empfohlenen Bewegungen sind mal behutsam, mal schnell, mal dynamisch, mal konzentriert.
Auch tägliche Runden zu Fuß erzielen bereits eine positive Wirkung. Wer die entschleunigende Wirkung von Spaziergängen vertiefen möchte, kann "Kinhin" praktizieren: Achtsames Gehen, auch "Geh-Meditation" genannt. Ursprünglich stammt diese Bewegungsform aus dem Zen-Buddhismus in Japan und China. Inzwischen wird sie auch in Europa in vielen Meditationszentren und Kursen zur Stärkung der Achtsamkeit und Stressresistenz praktiziert.
Das Ziel: aus einem unbewussten Vorgang einen bewussten machen
Die zentrale Idee: Gehen ist ein hoch automatisierter Vorgang, den wir früh erlernen und dann weitgehend unbewusst ausführen. Bei der Geh-Meditation geht es deshalb zunächst darum, die Schritte stark zu verlangsamen, sich quasi in Zeitlupe zu bewegen, um die Komplexität des Vorgangs wieder bewusst wahrnehmen zu können. Um zu spüren, wie wir bei jedem Schritt unser Gewicht verlagern und für einen kurzen Moment gewissermaßen in der Schwebe sind, das Gleichgewicht suchen. Wie wir die Zehen aufsetzen, die Fußsohle abrollen, wie die Muskeln in Gesäß, Waden und Oberschenkeln arbeiten.
Jeder Gang bietet sich für einen Moment der Zentrierung an
Das kann im Wechsel mit anderen Übungen geschehen, zum Beispiel als Kontrast zur Sitzmeditation. Aber auch viele alltägliche Situationen wie ein kleiner Spaziergang oder der Weg zum Bäcker können genutzt werden, um die Schritte einmal bewusster als sonst zu setzen – und so einen Moment der Zentrierung, einen Moment der Ruhe zu schaffen.
Besonders populär wurde die Geh-Meditation in Europa durch den inzwischen verstorbenen buddhistischen Mönch Thích Nhất Hạnh, einen der weltweit einflussreichsten Lehrer der Achtsamkeit. In seinem Büchlein "Einfach gehen" gibt er inspirierende Anleitungen und persönliche Erfahrungen weiter, die helfen, nicht mehr durch den Alltag zu hetzen, sondern das Gehen zu genießen: "Als wir gehen lernten, war jeder Schritt eine Freude. Wir bewegten uns und erforschten jeden Moment, der sich vor uns auftat. Wir können lernen, wieder so zu gehen.“
Im Hier und Jetzt zu verweilen macht glücklich
Vielleicht bieten sich ja zwischen Jahresendabschlüssen, betrieblichen Weihnachtsfeiern und Geschenkekäufen ein paar Gelegenheiten, die Methode des achtsamen Gehens – zum Beispiel bei einem Spaziergang durch festlich beleuchtete Straßen – zu probieren. Es könnte sich lohnen, das Tempo immer mal wieder bewusst zu drosseln, ganz im Hier und Jetzt zu sein. Und wenn auch nur für einen kurzen Moment.