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Erde im Ausnahmezustand Der vergangene Juli war weltweit der heißeste Monat seit Messbeginn

Der Display einer Apotheke in Rom zeigt 46 Grad Celsius an
Glühende Hitze: Im Juli stiegen die Temperaturen in der Innenstadt von Rom auf 46 Grad Celsius
© Domenico Stinellis/AP / dpa
Verheerende Waldbrände, überhitzte Weltmeere und ein Juli, der global mit Abstand der wärmste bisher gemessene Monat war: Der Klimawandel trifft unseren Planeten in diesem Sommer mit voller Wucht. Die Extreme drohen zur Normalität zu werden

Der Juli 2023 war nach Angaben des EU-Erdbeobachtungsprogramms Copernicus im globalen Mittel gut 16,95 Grad warm. Damit stellt er einen neuen Rekord auf: Er ist gut 0,33 Grad heißer als der Juli 2019, der bislang die Rangliste anführte. Die Messdaten von Copernicus gehen zurück bis zum Jahr 1940.

Die außergewöhnlich hohen Temperaturen sind nicht das einzige Klima-Extrem dieses Sommers. Ein Überblick:

Temperaturentwicklung: Laufend neue Rekorde

Die globale Durchschnittstemperatur hat sich insbesondere in den vergangenen Jahrzehnten deutlich erhöht. "Seit den 1980er Jahren ist sie um fast 0,2 Grad Celsius pro Jahrzehnt gestiegen und liegt derzeit etwa 1,2 Grad über dem Niveau von 1850 bis 1900", sagte Dieter Gerten vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. "Die zehn wärmsten Jahre traten alle seit 2010 auf." Hauptursache der Erwärmung seien menschengemachte Treibhausgase.

Die Konzentration der drei bedeutendsten - Kohlendioxid, Methan und Lachgas - hat in der Atmosphäre nach jüngsten Daten der Weltwetterorganisation (WMO) selbst während der Corona-Pandemie 2021 zugelegt. Alle drei erreichten in dem Jahr Rekordwerte.

Durch den Klimawandel befeuerte Ereignisse wie Brände, Methanausgasung, Eisschmelze und Waldsterben könnten die Erwärmung sogar weiter verstärken, sagte Gerten. Die Umsetzung des Klimaabkommens von Paris, nach dem die Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad begrenzt werden sollte, sei entscheidend, um eine gefährliche Erderwärmung zu vermeiden.

Balkendiagramm der globalen Lufttemperaturen im Juli von 1940 bis 2023
Die Grafik zeigt das weltweite Mittel der Lufttemperatur im Juli für die Jahre 1940 bis 2023. Sind die Balken blau, lag die Temperatur unter dem Durchschnitt; in Jahren mit roten Balken lag sie darüber.
© C3S/ECMWF

So starke Hitzewellen wie im Juli in Südeuropa und dem Südwesten der USA wären ohne den vom Menschen gemachten Klimawandel so gut wie unmöglich. Zu diesem Ergebnis kam die Initiative World Weather Attribution, die den Zusammenhang von Extremereignissen und Erderwärmung intensiv untersucht. Die Temperaturen der analysierte Hitzewelle in Südeuropa lagen demnach um 2,5 Grad höher, als sie es ohne den menschengemachten Klimawandel getan hätten, die in Nordamerika um zwei Grad und eine in China um rund ein Grad.

Gerten zufolge sind praktisch alle Gegenden von der Erwärmung betroffen. Besonders für subtropische Zonen wie etwa Südeuropa seien trockenere Bedingungen zu erwarten, während viele küstennahe Gebiete zunehmend mit Überflutungen durch den Meeresspiegelanstieg zu kämpfen hätten. "Diese Erkenntnisse verdeutlichen die Dringlichkeit globaler Anstrengungen zur Eindämmung des Klimawandels und zur Anpassung an die bereits unvermeidbaren Veränderungen."

Niederschlag: Die Extreme nehmen zu

In Deutschland trete die sogenannte hydrologische Dürre bereits jetzt häufiger auf, erläuterte Jakob Zscheischler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Dies ist ein Wassermangel in Brunnen, Flüssen oder anderen Reservoiren. "Das lässt sich auf die Temperatursteigerung zurückführen, die zu höherer Wasserverdunstung aus dem Boden führt."

Dass die Stärke von Dürren und Extremniederschlägen global zunimmt, haben unter anderem zwei Forscher aufgrund von 1056 Extremereignissen gezeigt. Die Gesamtintensität aller analysierten Ereignisse korrelierte demnach stark mit der weltweiten Mitteltemperatur. Die Forscher ermittelten mit Hilfe von Satellitendaten Änderungen im Gesamtwasserspeicher. Die Studie bestätige nicht nur die Prognosen der Klimamodelle, sondern auch die Hypothese, dass trockene Erdregionen noch trockener werden, nasse hingegen noch nasser, kommentierte Melissa Rohde von der State University of New York.

Meere: Überhitzte Wärmespeicher

Die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Meere liegt bereits seit Mitte März auf Rekordniveau: Nach Daten der Plattform "Climate Reanalyzer" ist jeder einzelne Tag bislang der wärmste für sein jeweiliges Datum gewesen - zwar meist mit Abstand. Messbeginn war das Jahr 1982. Anfang August betrug die Temperatur rund 21 Grad und damit rund 0,8 Grad mehr als im Mittel der Jahre 1982 bis 2011 zu dieser Jahreszeit.

"Grund ist die menschengemachte Erderwärmung", sagte Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. "Über 90 Prozent der Wärme, die durch die menschengemachten Treibhausgase entsteht, speichern die Ozeane." Derzeit komme allmählich das natürliche Klimaphänomen El Niño hinzu. Es könne die im Zuge der Klimakrise steigenden Temperaturen zusätzlich in die Höhe treiben. "Es gibt ein Miteinander von kurzfristigen natürlichen Schwankungen und langfristiger anthropogener Erwärmung", sagte er. Deswegen steige die Temperaturkurve nicht gleichmäßig.

Jahresverlauf der weltweiten Meeres-Oberflächentemperatur von 1979 bis 2023
Jahresverlauf der weltweiten Meeres-Oberflächentemperatur zwischen den Breitengeraden 60°N und 60°S. Die Kurven zeigen die Temperaturverläufe von 1979 bis heute. 2016 und 2023 (oberste Kurve) sind besonders hervorgehoben.
© C3S/ECMWF

Zahlreiche Korallen drohen nach Angaben mehrerer Forschender in diesem Jahr angesichts der Temperaturen auszubleichen. Die Lebensräume vieler Meereslebewesen verlagern sich Analysen zufolge teils mehrere Dutzend Kilometer pro Jahrzehnt Richtung Süd- oder Nordpol.

Eine weitere Folge des wärmeren Wassers: Der Meeresspiegel steigt, weil sich Wasser bei Erwärmung ausdehnt. Das ist laut Latif neben dem Schmelzen der kontinentalen Eismassen ein Hauptgrund für den Anstieg von bislang rund 20 Zentimetern. Warme Ozeane haben auch einen großen Einfluss auf das Wetter: "Durch die Verdunstung gelangt mehr Energie in die Atmosphäre, was zu stärkeren Wetterextremen führt", erklärte Latif.

Warmes Wasser kann zudem weniger Sauerstoff speichern, sodass Meereslebewesen mit weniger Sauerstoff auskommen müssen. Zudem nehmen die Ozeane laut Latif etwa ein Viertel des menschengemachten CO2 auf und werden dadurch saurer - eine weitere Belastung für Korallen und andere kalkbildende Lebewesen, aber etwa auch für Dorschlarven.

Und die Erwärmung könnte sich künftig beschleunigen: "Da wärmer und saurer werdende Meere zudem einen weniger großen Anteil des menschengemachten Kohlendioxids aufnehmen können, müssen wir die Emissionen langfristig noch stärker reduzieren als ohnehin schon berechnet, um eine bestimmte globale Erwärmung nicht zu überschreiten", erklärte Latif. "Die marine CO2-Senke beginnt bereits zu schwächeln und hat in den letzten Jahren nicht mehr in dem Maße zugelegt wie die CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre." Bei Landsenken wie Wäldern, die CO2 aufnehmen, sei das Problem sogar noch gravierender.

Antarktis: Meereis auf dem Rückzug

Neue Daten zum Meereis in der Antarktis beunruhigen Fachleute. Laut Christian Haas, Leiter der Sektion Meereisphysik am Alfred-Wegener-Institut (AWI), ist die von Eis bedeckte Fläche des Meeres in der Antarktis derzeit deutlich kleiner als im Durchschnitt der letzten 40 Jahre. "Sowas hat es noch nie gegeben, seit wir Satelliten haben", sagte Haas. Bisher habe sich die Meereis-Fläche im antarktischen Winter immer wieder erholt. Die aktuelle Situation könne weitreichende Konsequenzen haben. "Die Frage ist, ob es der Anfang vom Ende des Meereises in der Antarktis ist. Wenn es so weitergeht, wird es im Sommer gar kein Meereis mehr geben." Noch sei allerdings unklar, ob dies tatsächlich auf den menschengemachten Klimawandel zurückzuführen sei oder eher auf natürliche Variabilität.

Die möglichen Folgen für die Weltmeere könnten jedenfalls gravierend sein, da der Rückgang des Meereises zu einem Anstieg der Meeresoberflächentemperatur und Veränderungen in den Meeresströmungen führen könnte. Haas verweist auf die Eis-Albedo-Rückkopplung: Eis reflektiert Sonnenstrahlen sehr gut, das Meer dagegen nimmt sie eher auf und erwärmt sich dadurch. Durch den Rückgang des Eises wird das Meer daher wärmer, sodass noch mehr Eis schmilzt.

"Ich bin der Meinung, dass wir die 1,5 Grad globale Erwärmung überschreiten werden. Unter 2 Grad zu bleiben wäre noch möglich, aber eine Herkulesaufgabe", sagte Latif. "Doch selbst, wenn wir die reißen sollten: Jedes Zehntel Grad, das wir vermeiden können, wäre die Mühen wert."

Christiane Oelrich dpa

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