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Tepui-Expedition Abstieg ins Reich der lebendigen Steine: GEO-Reporter dringen in die ältesten Höhlen der Erde vor

Ein Besuch in der Urzeit, im Herz Südamerikas: Im Untergrund der "Tepuis", der riesigen Tafelberge Venezuelas, stoßen Höhlenforscher auf jahrtausendealte Wesen aus Quarzkristallen. GEO-Reporter Lars Abromeit hat das Team begleitet – und ordnet die Funde ein: Könnten ähnliche Lebensformen, gebaut aus Sand, auf dem Mars existieren?
Forscher in einer Höhle
Im Auyan-Tepui Venezuelas verzweigt sich das unterirdische Labyrinth "Imawari Yeuta" auf einer Länge von mehr als 20 Kilometer: Spiegelnde Seen ruhen darin. Seit Jahrmillionen ist nie ein Lichtstrahl in sie gefallen
© Robbie Shone

Eine Finsternis, schwarz wie das Erdinnere, hat sich um Canaracuni gelegt: die letzte Nacht vor dem Aufbruch; und eigentlich wäre es höchste Zeit, sich ins Zelt zu verziehen. Aber wir fänden doch keinen Schlaf. Francesco Sauro nicht, weil er noch zu viele Fragen zu klären, zu viele Zweifel zu tilgen hat. Und ich nicht, weil ich zu aufgeregt bin. 

Zu lange fiebere ich dieser Reise bereits entgegen, die uns nun endlich bevorsteht: ein Besuch in der Urzeit – in einer unterirdischen, seit Jahrmillionen verborgenen Parallelwelt. Wie oft erlebt man das schon?

Canaracuni, ein Dorf am Nordrand des Amazonasbeckens inmitten des Regenwaldes, gute zwei Flugstunden in Propellermaschinen vom venezolanischen Santa Elena entfernt: Hier haben wir unser Lager errichtet, hier warten wir auf den Morgen. Aus dem Dickicht weht das Konzert der Zikaden, Frösche und Nachtschwalben über die Lehmhütten. Um die Feuerstellen hocken noch ein paar Jäger vom Volk der Ye'kuana, sie flechten Fallen und Fischreusen, schnitzen Pfeile aus Palmenholz; ihre Hunde streiten sich jaulend um Hirsch- und Leguanknochen. Und etwas abseits von ihnen sitze ich neben Sauro, den Rücken an eine staubige Hauswand gelehnt. Er sucht schwarze Löcher, ich schaue ihm zu.

Der italienische Geologe prüft am Computer auf seinen Knien ein letztes Mal Luftbilder, die er am Morgen vom Helikopter aus aufgenommen hat. Er vergleicht sie mit Satellitenkarten, misst die Entfernungen, markiert die vielversprechenden Stellen: mögliche Eingänge in die Unterwelt jenes mysteriösen Gebirges, das hinter den Hütten von Canaracuni 2300 Meter hoch in der Dämmerung aufragt.

Das Ziel unserer Neugier: eine zwischen Wolken versteckte Sandsteinfestung, von rötlich schimmernden Steilwänden abgeschirmt, von Nebelwald überwuchert. Bislang kaum erforscht. Was mag im Inneren ihrer Gesteine verborgen sein?

Erschienen in GEO 11/16