Das Naturspektakel dauert nur wenige Minuten. Doch als sich der Tornado, der am Abend des 10. Juli 1968 über Pforzheim hinwegfegt, wieder auflöst, ist nichts mehr, wie es war. Die Windhose hat in der Stadt im Südwesten eine Schneise der Verwüstung hinterlassen, 1750 Häuser beschädigt, 200 Menschen verletzt und zwei getötet. Es dauert Tage, bis die Stromversorgung wieder hergestellt ist und Wochen, bis das Militär seinen Katastropheneinsatz in der Stadt beenden kann.
Bis heute bleibt der Tornado von Pforzheim einer der zerstörerischsten der deutschen Wettergeschichte; doch ist er bei Weitem nicht der einzige. Auch als am Donnerstagnachmittag eine hoch aufgetürmte Windsäule über den Landkreis St. Wendel im Saarland hinwegzog und mehrere Hausdächer abdeckte, erinnerte vieles an einen Tornado. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) konnte das allerdings bislang nicht bestätigen.
An sich sind Tornados typische Sommer-Phänomene, sagte der Meteorologe und Klimaforscher Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel in einem Interview im Juni 2021. "Sie entstehen meistens, wenn kalte und schwülwarme Luftmassen aufeinandertreffen – die allermeisten wachsen als eine Art Schlauch aus den Zellen heftiger Gewitter", so Latif. "Und wenn wir davon ausgehen, dass die Gewitter mit steigender Temperatur heftiger und häufiger werden, wird es in Zukunft auch mehr Tornados geben."
Das gilt auch für Deutschland. Schon jetzt werden hier etwa 40 bis 50 Tornados im Jahr registriert. Tatsächlich entstehen sogar noch mehr – doch nicht alle erreichen den Boden oder werden von Wetterstationen erfasst, manche verpuffen unbemerkt auf dem Land. Kritisch wird es dann, wenn Menschen betroffen sind. So wie im Juli 1968 in Pforzheim.
Dass der Tornado ausgerechnet hier wütete, ist kein Zufall: Der Westen und Süden, sagt Latif, sind die Tornado-Hotspots Deutschlands. Genau hier ist es relativ warm und vor allem schwüler als im Rest des Landes. "Und wir stehen erst ganz am Anfang der Klimaerwärmung, in Zukunft wird sich das noch steigern", sagt Latif.
Die Extreme nehmen zu
Auch wenn die Temperatur seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Deutschland schon um 1,6 Grad Celsius gestiegen ist, hat sich das globale Klima bislang erst um ein Grad Celsius erwärmt. "Wenn wir mal bei zwei, drei oder vier Grad Celsius angekommen sind, werden die Extreme noch deutlicher zunehmen", sagt Latif. Das gilt nicht nur für Gewitter, sondern auch für andere Wetterextreme – für Hitzewellen mit großer Trockenheit, Starkniederschläge oder Hagel.
Welche Auswirkungen es hat, wenn Luftmassen unterschiedlicher Temperaturen aufeinanderprallen, zeigt sich in regelmäßigen Abständen in den USA und in den Tropen, wo es schon heute deutlich wärmer als in Europa ist. Arktische Kaltluft trifft warme, schwüle Luft aus dem Golf von Mexiko, langegestreckte Gebiete, Alleen genannt, von Tornados entstehen. "So extrem wird es bei uns nicht", sagt Latif. "Aber auch die Gewitter, aus denen bei uns Tornados entstehen können, formen sich hauptsächlich bei hohen Temperaturen und hoher Luftfeuchtigkeit."
Konkret bilden sich Tornados genau dann, wenn sich feuchtwarme Luft am Boden und trockene und kalte Luft in der Höhe übereinanderschichten. Dadurch entsteht ein Aufwind, immer mehr Luft strömt mit immer größerer Geschwindigkeit ins Innere des Schlauchs.
Tornados entstehen ohne Vorwarnung
Das Gefährliche an Tornados: Im Gegensatz zu Hurrikanen entstehen sie zufällig, tauchen nicht Stunden oder gar Tage vorher auf der Wetterkarte auf. "Ein Tornado ist überhaupt nicht vorhersehbar, die Vorwarnzeit deshalb extrem gering", sagt Latif. "Bei starken Temperaturgegensätzen und Gewittern besteht immer die Möglichkeit, dass sich ein Tornado entwickelt." Wie bei Gewittern ohnehin der Fall, gilt dann: Zuhause bleiben. Bei richtig starken Tornados ist man allerdings nur im Keller geschützt.
Wie stark die Extremwetter zunehmen, hänge jetzt vor allem von der Klimaerwärmung ab, sagt Latif. Die Modelle sind in ihrer Vorhersage zwar begrenzt, aber: "Man muss nicht nur damit rechnen, dass es häufiger Extremwetterereignisse geben wird. Sondern auch, dass man sich irgendwann nicht mehr an sie anpassen kann."